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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Autoren: Jane Austen
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während die Handlungen dieser Figuren dann gegeneinander abgewogen, gewichtet und gewertet werden, ist »Überredung« paradoxerweise nur sehr indirekt Thema des nach ihr benannten Romans. Wiederum als Folge der neuartigen Struktur des Buches, der in die Haupthandlung eingelassenen Vorgeschichte, liegt Annes Entscheidung, der Überredung Lady Russells nachzugeben und die Verlobung mit Captain Wentworth zu lösen, bereits acht Jahre zurück, als die Handlung beginnt. Was nun diese Handlung bestimmt,ist nicht mehr wie in früheren Romanen Entscheidungsfindung und Entscheidung selbst. Bestimmend sind vielmehr die Konsequenzen der Entscheidung. Und die sind, das macht der Roman unmißverständlich klar, durchweg unerfreulich. Anne muß damit leben, »rasch verblüht« (S. 10) zu sein, sie muß die Mißachtung seitens ihrer Familie ertragen (»sie war einfach nur Anne«, S. 10), fast vollständige seelische Isolation aushalten, und sie kann, 28jährig, kaum mehr darauf hoffen, daß sich an ihrer Lage noch einmal etwas ändern wird. Im Lichte dieser Konsequenzen beurteilt Anne nun ihre Entscheidung: »Sie machte Lady Russell keinen Vorwurf, sie machte auch sich keinen Vorwurf, daß sie sich von ihr hatte leiten lassen« (S. 37), das heißt, ihre Entscheidung war nicht moralisch falsch. Aber: »Wie beredt hätte Anne Elliot sein können – wie beredt zumindest verteidigte sie im stillen eine frühe warme Zuneigung und einen frohgemuten Zukunftsglauben« (S. 37). Und das heißt, auch eine moralisch korrekte Entscheidung kann praktisch und menschlich falsch sein. Die Parallel- und Kontrastgeschichten, die Austen dem Schicksal ihrer Heldin gegenüberstellt, geben Annes Einschätzung recht: Die exemplarisch glücklichen Eheleute Admiral und Sophy Croft wagen eine schnelle Heirat unter unsicheren Umständen und gewinnen damit ihr Glück. Captain Benwick und seine Verlobte Fanny Harville dahingegen, die in der Hoffnung auf Benwicks Beförderung mit der Heirat gezögert haben, verlieren sich: Fanny stirbt, während Benwick auf See ist. Austen gestaltet hier ein moralisches Problem, das mit der Entscheidung zwischen richtig und falsch, zwischen Gut und Böse nicht gelöst ist, das also nicht wie in herkömmlicher
conduct literature
absolut gesetzt ist; sie läßt Annes Problem und ihre Entscheidung quasi im Lichte nachfolgender Ereignisse schillern. Daß solche nachfolgenden Ereignisse eine moralisch korrekte Entscheidung zu einem Fehler machen können, daß moralisch richtig und menschlich falsch keinenWiderspruch in sich darstellen müssen – Austen betont diese das Genre der
conduct novel
sprengenden Erkenntnisse weiter, indem sie absichtsvoll, fast brutal, auf dem Faktum von Glück und Zufall insistiert. Anne wird von den – nicht anders als tragisch zu nennenden – Konsequenzen ihrer moralisch doch korrekten Entscheidung erlöst, einzig weil Austen und ihre Komödienkonventionen es so wollen: Glück und Zufall führen dazu, daß ausgerechnet Captain Wentworths Schwester Mieterin von Kellynch Hall wird und Wentworth so wieder in Annes sozialen Zirkel zurückkehrt, Glück und Zufall, daß Wentworth zu Rang und Reichtum gekommen ist, Glück und Zufall, daß Louisa Musgrove von Captain Wentworth zu Captain Benwick »überläuft« und Wentworth damit für Anne freigibt. Das Glück der Heldin erscheint also von ihrem moralischen Verhalten unabhängig, das
happy ending
weniger als Belohnung moralischer Integrität denn als Werk des Zufalls. In der Komödie, die sich ein paar glücklichen Fügungen verdankt, verbirgt sich die Tragödie eines sinnentleerten Lebens – von der
conduct novel
bleibt da kaum mehr als der Titel.
    In ›Persuasion‹ erneuert Jane Austen die von ihr selbst geprägte
love story
in einer Weise, die auf das späte 19. Jahrhundert vorverweist, sie instrumentalisiert Komik und Komödie zu gesellschaftskritischen Zwecken, sie schreibt das Genre der
conduct novel
über seine Grenzen hinaus. Jane Austen war in den Jahren 1815 und 16, als sie ihren letzten Roman verfasste, eine schwerkranke Frau, die viel Zeit auf drei aneinandergeschobenen Stühlen sitzend verbrachte, weil ihre hypochondrische Mutter das einzige Sofa des Hauses mit Beschlag belegte. Sie war ebenfalls und immer noch eine Autorin, die – wie ihre Heldin Anne Elliot – bereit war, zu neuen Ufern aufzubrechen.

    Dorothea Tetzeli von Rosador

DATEN ZU LEBEN UND WERK
    1775
    Jane Austen wird am 16. Dezember als Tochter des Landpfarrers George Austen
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