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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Autoren: Jane Austen
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vorzeitig zu räumen. Er beauftragt Captain Wentworth – wen sonst – damit, Anne nach Kellynch Hall und somit indirekt auch nach ihrer Verlobung zu fragen. Es folgt eine durch und durch komödienhafte Szene, die vom schmerzlichen Mißverständnis über die komische Peinlichkeit schließlich in die direkte Aussprache und die glückliche Auflösung mündet. Die Szene ist witzig und gelungen, aber Austen wollte etwas anderes. In ihrer Überarbeitung ersetzt sie die Komödien-Maschinerie – das Mißverständnis, die peinlich-komische Situation, die nach dem klärenden Gespräch verlangt – durch zwei Passagen, in denen sich die Protagonisten offen äußern, ohne dabei allerdings miteinander zu sprechen: Im Dialog mit Captain Harville verleiht Anne zum ersten Mal im Verlauf des Romans ihren Gefühlen Ausdruck. Daß sie verallgemeinernd spricht (»Nur ein Privileg nehme ich für mein Geschlecht in Anspruch […], daß wir nämlich die sind, die länger lieben, wenn das Leben, oder die Hoffnung, dahin ist.«, S. 273) kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie hier ihre intimsten Erfahrungen preisgibt. Nicht zufällig versagt ihr mehrfach beinahe die Stimme, bleibt ihr der Atem weg. Captain Wentworth antwortet mit einem Brief, in dem er seine Liebe gesteht und sein bisheriges Verhalten als Folgeungerechten Zorns erklärt. Das direkte Gespräch der Protagonisten findet erst nach diesen Passagen separaten, subjektiven Gefühlsausdrucks statt und wird bezeichnenderweise zu großen Teilen vermittelt erzählt: als Zusammenfassung durch die Erzählerstimme (»Erneut tauschten sie dort all jene Beteuerungen und Gelöbnisse …«, S. 279) und in der distanzierenden Form der erlebten Rede (»Er blieb dabei, er hatte keine andere als sie geliebt. Keine Frau hatte ihren Platz einnehmen können.«, S. 280). Jane Austens Überarbeitung des Romanendes dient also vor allem einem Zweck: die Komödienhandlung in den Hintergrund zu schieben und den Fokus auf die intensive Subjektivität der Figuren zu lenken.
    Wer nun aber meint, eine eindeutige Richtung in Austens Schaffen dingfest gemacht zu haben, wer sich die reife Jane Austen schon als zweite George Eliot vorstellt, braucht nur ihren letzten Text, das Fragment ›Sanditon‹ in die Hand zu nehmen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. ›Sanditon‹ ist eine schrille Satire auf das Leben in einem modischen Badeort, bevölkert von grotesk-komischen Figuren, die alle denkbaren Spielarten der Hypochondrie pflegen und denen gegenüber die Heldin des Fragments eher langweilig und blaß wirkt. Die bloße Existenz dieses Textes zeigt eindeutig, daß Austen – anders als Kritiker wie Marilyn Butler es gerne hätten – keinen Grund dafür sah, sich ausschließlich auf die in die »richtige« Richtung weisenden Techniken der Figurenperspektive und der Vermittlung subjektiven Erlebens zu konzentrieren. Im Gegenteil, der schrille Ton von ›Sanditon‹ suggeriert, daß Austen auch hier, bei ihrer Fortschreibung der
comedy of manners,
weiter neue Wege gesucht, neue Töne angeschlagen hätte, wäre sie nicht so jung gestorben. Und nicht nur in ›Sanditon‹, auch schon in ›Persuasion‹ sind Komödie und Komik nicht mehr das, was sie in den früheren Romanen einmal waren. Verblüffend sind zum Beispiel einige undamenhafte Eruptionen äußerst bösartigen Humors. Soist es nicht anders als brutal zu nennen, wie die Erzählerstimme mit dem Charakter Dick Musgroves (des bereits verstorbenen Bruders von Louisa und Henrietta) verfährt:

    »Mochten die Schwestern auch sein Andenken nach Kräften hochhalten, indem sie ihn den ›armen Richard‹ nannten: in Wahrheit war er nichts gewesen als ein hohlköpfiger, dumpfer, nutzloser Dick Musgrove, der sich durch nichts einen Anspruch auf mehr als diesen Namensstummel erworben hatte, ob lebend oder tot.« (S. 61)

    Ebenso ungnädig wird der Kummer behandelt, den sein Tod seiner Familie verursacht hat:

    »[…] Captain Wentworth [gebührte] einiges Lob für die Beherrschtheit, mit der er ihren schweren, satten Seufzern über das Schicksal eines Sohnes lauschte, um den sich zu Lebzeiten keiner geschert hatte.
    Körperumfang und Herzeleid stehen mitnichten in einem festgeschriebenen Verhältnis. Ein großer, dicker Leib hat ebensoviel Anspruch auf ein gebrochenes Herz wie das anmutigste Figürchen auf Gottes Erdboden. Dennoch, ob gerecht oder nicht gerecht, es gibt unkleidsame Kombinationen, die der Verstand vergebens in Schutz nimmt – die der
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