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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Autoren: Jane Austen
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insbesondere eines äußerst strategisch gehandhabten Zeitschemas. Die Handlung dauert vom Spätsommer / Herbst 1814 bis zum Frühlingsbeginn 1815, es wird chronologisch erzählt. Von dieser Erzählweise gibt es nur minimale, dafür um so signifikantere Abweichungen. Da ist zum einen die bereits erwähnte Rückblende in Band 1, Kapitel IV, zum anderen finden sich einige Zusammenfassungen längerer Zeiträume durch die Erzählerstimme, so besonders prominent in Band 1, Kapitel I:

    »Dreizehn Jahre war [Elizabeth] nun Herrin von Kellynch Hall […] Dreizehn Jahre machte sie schon die Honneurs, führte das Regiment im Hause Elliot, bestieg als erste den Vierspänner und rauschte gleich hinter Lady Russell aus den Salons und Eßzimmern der Grafschaft. Dreizehn frostige Winter hindurch hatte sie jeden nennenswerten Ball eröffnet, der sich in der spärlichen Nachbarschaft bot, und durch das Blütenspalier von dreizehn Frühlingen war sie mit ihrem Vater nach London gereist […]« (S. 11)

    Diese Abweichungen von der Chronologie verankern beide die kurze, nicht einmal ein Jahr umfassende Zeit der Haupthandlung in der Vergangenheit, geben ihr eine Art zeitliche Tiefe – und beide exponieren sie ihre Gleichförmigkeit, Leere und graue Tristesse. Die Gegenwart der Handlung erscheint gewissermaßen über einem Abgrund aufgehängt; und in diesem Abgrund sinnleerer Vergangenheit droht stets auch die Gegenwart der Figuren unterzugehen. Damit nicht genug, ist auch die Gegenwart selbst eine herbstliche, melancholische. Nicht zufällig bleiben Frühling und Sommer von der Erzählung weitestgehend ausgeklammert, sind die Schauplätze des Romans geprägt von herbstlicher Landschaft, Wind und Regen (Uppercross und Lyme Regis) oder aber (im Falle von Bath) von sozialer Kälte, die sowohl mit der winterlichen Jahreszeit korreliert als auch mit Annes Gemütsverfassung (»beklommenen Herzens«, S. 158) bei ihrer Ankunft dort. In ›Persuasion‹ macht Austen, und auch das ist wiederum neuartig, von solchen Korrelationen Gebrauch,indem sie Landschaft und Wetter einerseits, die Seelenlage der als Medium der Erzählung fungierenden Figur Annes andererseits sich gegenseitig spiegeln läßt:

    »Eine ganze Stunde der Muße für derlei Betrachtungen, während ein feiner, dichter Regen die wenigen Umrisse auslöschte, die in dem düsteren Novemberlicht vor den Fenstern erkennbar gewesen waren, reichte aus, um das Rattern von Lady Russells Kutsche zu einem hochwillkommenen Geräusch zu machen; aber […] sie […] konnte keinen Abschiedsblick hinüber auf Uppercross Cottage mit seiner schwarzen, tropfenden, trostlosen Veranda werfen, ja nicht einmal durch die beschlagenen Wagenfenster die letzten ärmlichen Katen des Dorfes erahnen, ohne daß ihr weh ums Herz wurde.« (S. 141 f.)

    Annes subjektives Erleben erscheint in dieser Spiegelung gegen die äußere Realität entgrenzt – und dadurch um so intensiver, beherrschender.
    Während nun Annes intensives, herbstlich-melancholisches Seelenleben ausreichen würde, um damit einen Roman (etwa à la Henry James) über die alltägliche Tragödie einer ungeliebten Frau zu bestreiten, ist es nicht ausreichend, nicht zielführend im Sinne einer Liebesgeschichte mit
happy ending
. Es muß etwas passieren, und damit etwas passieren kann, damit überhaupt Handlung stattfindet, hat Austen in ihrem letzten Roman den Lernprozeß von der weiblichen auf die männliche Hauptfigur verlagert. Den Helden, der dazulernen muß, bevor er eine sinnhafte Verbindung mit der richtigen Partnerin eingehen kann, gibt es auch schon in ›Stolz und Vorurteil‹ (Mr. Darcy) und in ›Mansfield Park‹ (Edmund Bertram); nur im Falle Captain Wentworths aber hat Austen die Geschichte männlichen Erkenntnisgewinns detailliert ausgearbeitet. Dabei ist Frederick Wentworth weder von Stolz verblendet wie Mr. Darcy noch von einer erotisch funkelnden Oberfläche getäuscht wie Edmund Bertram. Er ist vielmehr von vornherein ein Mann mit einer ganz eigenen, unkonventionellen Vorstellung von idealer Weiblichkeit: »Von starkem Charakter und gewinnend in ihremWesen« (S. 73) soll Wentworths zukünftige Ehefrau sein. Annes (acht Jahre zurückliegende) Bereitschaft, die Verlobung mit ihm auf fremden Rat hin aufzugeben, deutet er als unverzeihliche Schwäche. Mit dieser Einschätzung liegt er deutlich neben jeder Art von
conduct literature,
die Schwäche, Nachgiebigkeit, Bereitschaft zur Unterordnung unfehlbar als eine der wertvollsten
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