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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe
Autoren: Horst Eckert
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Morgen verabschiedeten sie sich von Marlies Kurz. Ihr Bruder hatte Frau Kurz eingeladen. Eva und Thann hatten sie überredet, nicht ihretwegen abzusagen. Stattdessen hatte Thann vorgeschlagen, den Sonntag bei seiner Mutter zu verbringen. Er hatte Kollegen gegenüber niemals seine Familie erwähnt und hoffte, Schneider und Dalla würden nichts von seiner Mutter wissen.
    Als sie losfuhren, sah Thann im Rückspiegel ein großes, weißes Auto älterer Bauart aus der Reihe der parkenden ausscheren. Es blieb hinter ihnen, und Thann begann daran zu zweifeln, dass seine Idee gut war.
    Als er auf die Autobahn fuhr, sah Eva ihn erstaunt an. »Warum fährst du Richtung Norden? Ich denke, deine Mutter wohnt in ...«
    »Es braucht nicht jeder zu wissen, wo sie wohnt.« Thann deutete mit dem Daumen nach hinten. Der weiße Straßenkreuzer war noch immer da. Thann konnte sich denken, wer darin saß. Die Angst kroch in ihm hoch. Sie passierten den Flughafen und kamen aufs Autobahnkreuz. Thann wählte die Route nach Osten. Hier war nur wenig Verkehr. Der große Weiße blieb ihnen weiterhin auf den Fersen.
    Als die Verfolger näher kamen, trat Thann aufs Gaspedal. Doch der andere Wagen war schneller. Er schob sich immer näher. Thann wechselte unmittelbar vor dem Straßenkreuzer nach links, überholte einen Kleinwagen und setzte sich vor diesen. Die Verfolger mussten abbremsen, doch rasch war der weiße Wagen wieder gleichauf.
    Dalla saß am Steuer, Schneider daneben, gerade einen Meter von Thann entfernt. Sein Fenster war offen. Der Fahrtwind formte Schneiders Haar zu einer grotesken Frisur. Grinsend hob er eine Pistole und zielte auf Thanns Kopf.
    Thann riss das Lenkrad nach rechts, geriet auf den Standstreifen und trat auf die Bremse. Der Schuss ging ins Leere. Quietschend und schlingernd kam Thanns Golf zum Stehen. Der Kleinwagen raste vorbei. Schneider und Dalla waren bereits um die nächste Biegung verschwunden.
    Thann und Eva holten tief Luft. Thanns Finger krampften sich ums Steuer, damit Eva sein Zittern nicht bemerkte. Sie sah sich um. »Hinter uns ist frei«, flüsterte Eva.
    Thann fuhr los und beschleunigte. Die Tachonadel ruckte immer weiter nach rechts. Ein Schild kündigte eine Ausfahrt an. Ein Kilometer. Thanns Puls klopfte in der Brust und im Kopf. Bleifuß. Höchstgeschwindigkeit.
    Unmittelbar vor der Ausfahrt wartete der weiße Wagen. Sie passierten ihn und hofften, der Vorsprung würde reichen. Vier Kilometer bis zur nächsten Ausfahrt. Als sie den Kleinwagen ein zweites Mal überholten, zeigte ihnen der Fahrer einen Vogel. Thann lachte. Der weiße Verfolger wurde im Spiegel immer größer, doch der Abstand genügte. Sie verließen die Autobahn und rasten in den nächsten Ort.
    Es war ein Gewirr kleiner Gassen. Immer wieder bogen sie ab. Dann steuerte Thann auf einen Parkplatz und zwängte den Golf in den Durchgang zwischen einer Kirche und dem Nachbarhaus. Hier warteten sie eine halbe Stunde, bis spielende Kinder sie belehrten, dass an dieser Stelle das Parken verboten sei.
    Auf Landstraßen fuhren sie jetzt Richtung Süden. Jedes weiße Auto ließ Thann in Schweiß ausbrechen. Immer wieder glaubte er, Schneiders windzerzauste Fratze zu sehen. Als sie schließlich bei seiner Mutter ankamen, waren beide erschöpft wie von einem Marathonlauf.
     
     
    70.
     
    Der Empfang war eiskalt.
    Thanns Mutter schien sich nicht zu freuen. Gern hätte Thann ihr Blumen oder Pralinen mitgebracht, doch daran konnte es nicht liegen. Als er ihr Eva vorstellte, ignorierte Gudrun Thann sie einfach. Auch beim Kaffeetrinken blieb sie einsilbig und merkwürdig verschlossen. Thann konnte sich ihr Verhalten nicht erklären.
    Eva war erleichtert, als Thann vorschlug, zu zweit einen Spaziergang durch die Wälder oberhalb des Dorfes zu unternehmen. Der Weg war matschig, und der Regen prasselte auf ihren Schirm. Dennoch erschien es ihnen gemütlicher als in Mutters guter Stube.
    »Glaubst du, sie ist eifersüchtig auf mich?«, fragte Eva.
    »Vielleicht. So habe ich sie noch nie erlebt.«
    Rasch brach die Dämmerung herein und zwang die beiden zur Rückkehr.
     
    Am Abend erfuhr Karl Thann die Wahrheit.
    Sie wollten frühzeitig schlafen gehen, und Gudrun Thann brachte Bettzeug. »Eva, Sie schlafen oben im Gästezimmer. Karl, dein Bett mache ich hier auf dem Sofa.«
    »Nicht nötig, Mutti, das Bett im Gästezimmer ist breit genug.«
    »Nein, das kommt gar nicht infrage!« Gudrun Thann sah ihn streng und bestimmt an. »Ihr könnt nicht zusammen
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