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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte
Autoren: Christine Grän
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dem Baseballschläger eins draufgehauen. Vielleicht wollte ich ihn sogar umbringen, vielleicht aber auch nicht.
    Als er dann dalag und ich wusste, dass er tot war, spürte ich dennoch Erleichterung. Hat er mich nicht zeit meines Lebens verfolgt – und ist immer dann aufgetaucht, wenn ich meinte, diesen Schatten endgültig hinter mir gelassen zu haben? Denn das war er: mein böser Schatten. Ich habe David nie freiwillig geholfen, ich habe nur seinen Erpressungen nachgegeben, immer wieder. Weil ich einmal, als junger Mann, eine Dummheit beging, für die er damals ein schriftliches Geständnis forderte, das ich Idiot ihm auch noch gab. Spielt keine Rolle, was es war, ich habe es vollständig verdrängt – nur David hat mich Jahr für Jahr daran erinnert. Er hat meine Kindheit ruiniert, mich ein kleines Vermögen gekostet, mich gedemütigt, erpresst – und sich bei alledem auch noch über mich lustig gemacht. Welchen Grund sollte ich haben, ihn nicht zu hassen?
    Ich wollte mit dir wirklich auf diese Insel. Ich musste, denn John Schultz saß mir im Nacken, weil ich ihm die Diskette nicht liefern konnte, für die er so viel Geld auf die Caymans transferiert hatte. Dass Bruno sie gestohlen hatte, war sehr dumm von ihm. Hat Schultz ihn umbringen lassen? Noch so eine Frage, auf die ich keine Antwort finden werde.
    David tauchte wirklich zur Unzeit auf erst in Brüssel und dann in Berlin. Er war so vollkommen pleite, dass er sich die Mühe gemacht hatte, meine schwierigen Lebensumstände zu recherchieren. Er wusste, dass ich auf dem Absprung war – und dieses eine Mal ging er wirklich zu weit. Weißt du, wie viel er von mir forderte, als er in deiner Wohnung auftauchte? Fünf Millionen! Er wusste, dass es das letzte Mal war, dass er mich aussaugen konnte. Es war einfach zu viel, mehr, als ich hatte. Mein Bruder hielt es für angemessen, mich endgültig zu ruinieren. Er wollte Schultz anrufen, wenn ich seinen Forderungen nicht nachkäme.
    Alles wirklich Böse dreht sich ums Geld, nicht wahr? Aber vielleicht habe ich auch aus reinem Hass nach dem Baseballschläger gegriffen. Weil David der einzige Mensch auf der Welt war, gegen den ich mich nie zur Wehr setzen konnte. Mein Folterknecht – und sind Opfer nicht glücklich, einmal Täter sein zu können? Oder, um die Bibel zu bemühen: Kain hatte Recht. Abel muss ein wirkliches Arschloch gewesen sein, verzeih die Vulgärsprache, obwohl du ja manchmal auch recht deftig sein kannst. Das mochte ich übrigens auch an dir.
    Ich bereue nicht, Anna. Diese Tat bereue ich nicht, ich möchte nur, dass du sie verstehst. Weil ich dich einmal geliebt habe und mir vorstellen könnte, dass dein starkes Herz über gängigen Begriffen von Schuld und Sühne steht. Sie werden mich nicht kriegen, das glaube ich jedenfalls. Weißt du, wie viele Inseln es auf der Welt gibt? Unendlich viele. Diese hier ist das hübscheste Gefängnis, das ich mir vorstellen kann. Beachte die australische Marke nicht, sie ist irreführend. Aber andererseits glaube ich gar nicht, dass du mit diesem Brief zur Polizei laufen wirst. Nicht dein Stil. Manchmal vermisse ich dich, vor allem in den langen, kalten Nächten. Ich wünschte, du wärst hier. Andererseits: Wenn zwischen dir und mir Kontinente und Jahre liegen, wirst du mir nicht mehr so fehlen. Ich muss mein schwaches Herz schonen. Kennst du Dylan Thomas , letzte Worte? »Ich hatte achtzehn volle Whiskys; ich denke, das ist der Rekord.«
    Seine letzten Zeilen sind sehr krakelig geschrieben. Anna legt den Brief zur Seite, neben die Dollarnoten, die von einem Band gehalten werden und hübsch aussehen. Sie greift zur Zigarette, dann schenkt sie sich einen Whisky ein.
    »Prost, Martin« – das ist kein Verstehen oder Verzeihen. Letzte Worte.
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