Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
die Stimme, konnte sie aber nicht zuordnen. »Ich bin aufgrund der Zusicherung gekommen, dass Sie sowohl Cherry als auch Micah unverletzt freilassen. Das klingt doch, als gehörten sie beide mir.«
Er schüttelte wieder den Kopf. »Wenn ich Micah aufgebe, müsste ich alle meine Leoparden aufgeben, und dazu bin ich nicht bereit.« »Dann haben Sie mich angelogen, um mich herzulocken.«
»Nein, Ms. Blake.« Er nahm die Hände hinter dem Rücken hervor. Er trug schwarze Lederhandschuhe. »Vereinigen Sie Ihr Rudel mit unserem, stärken Sie uns.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin hergekommen, um meine Leute zu befreien, nicht um Ihrem Club beizutreten.« Er blickte Zeke an. »Hast du ihr erklärt, was ich will ?«
Zeke rührte sich neben mir. »Es hieß, wenn sie unbewaffnet herkommt, werden Micah und der andere Leopard freigelassen. So haben Sie es mir gesagt.«
Chimera machte ein missbilligendes Gesicht, das sah ich trotz Kopfmaske. Er rieb sich die Stirn durch das Leder, als hätte er Schmerzen. »Ich weiß genau, dass ich dir gesagt habe, was ich will. «
»Sie haben in den letzten Wochen vieles gesagt«, erwiderte Zeke vorsichtig.
»Wie lange sind Sie schon die Nimir-Ra?«, fragte Chimera und klang ganz normal, obwohl er sich ständig die Stirn rieb. »Ungefähr ein Jahr.«
»Dann müssten Sie genau wie ich erkannt haben, dass die verschiedenen Rudel sich zusammenschließen müssen. Wir konnten nur deshalb in jede Stadt eindringen und die kleinen Rudel in unsere Gewalt bringen, weil die großen Rudel ihnen ihre Hilfe verweigern. Sie sind wie Nachbarn, die nur die Feuerwehr rufen, wenn ihr eigenes Haus brennt. Sie überlassen jeden, der anders ist, seinem Schicksal.«
»Die Lykanthropengemeinde könnte ein bisschen mehr Zusammenhalt gebrauchen, aber ich glaube kaum, dass sich das durch Folter und Erpressung erreichen lässt.«
Er drückte sich die Finger auf die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er schien wirklich Schmerzen zu haben. Der Schlangenmann berührte ihn mit seinen kleinen dunklen Händen. Chimera schauderte, dann hob er den Kopf, ohne die Berührung abzuschütteln; sie tat ihm offenbar wohl.
Chimera sah mir direkt in die Augen und zog sich die Kopfmaske ab. Seine Haare standen verschwitzt ab, hätten einen Kamm gebraucht. Die grauen Schläfen wirkten nicht mehr distinguiert, sondern als wären sie nach einer schrecklichen Tat über Nacht grau geworden. Jetzt waren auch die Narben am Hals zu sehen. Vor mir stand Orlando King, alias Chimera.
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Zu etwas anderem war ich nicht imstande. »Ich sehe, Sie haben mich vorher nicht erkannt, Ms. Blake.«
Ich schüttelte den Kopf und musste mich räuspern, bevor ich ein Wort herausbekam. »Ich habe Sie nicht hier erwartet.« Das klang ziemlich lahm. Was ich damit sagen wollte, war, dass Orlando King, der berühmte Kopfgeldjäger, nicht der Anführer einer Gruppe bösartiger Gestaltwandler sein sollte. Das war irgendwie undenkbar.
»Deshalb wussten Sie über die Gestaltwandler in der Stadt Bescheid: weil sie sich an Sie um Hilfe gewandt haben.«
Er nickte. »Seit dem Überfall auf mich bin ich dafür bekannt, verbrecherische Lykanthropen zu jagen, ohne die Behörden zu verständigen. Wegen ein paar faulen Äpfeln muss man nicht die ganze Kiste wegwerfen.«
Ich musterte sein Gesicht und versuchte nachzudenken. »Einige glaubten, Ihre Nahtoderfahrung hätte Sie milde gemacht, aber Sie haben den Beruf aufgegeben, weil Sie sich angesteckt haben.«
»Es kam mir falsch vor, weiter Jagd auf diese Unglücklichen zu machen«, sagte er. »Auf Leute, die noch weniger dafür konnten, was aus ihnen geworden war, als ich. Allerdings habe ich den Werwolf gejagt, der mich fast getötet hätte. Ich wollte mich rächen. Aber die meisten Leute, die einen Überfall überleben, sind unschuldig.«
»Ich weiß«, sagte ich leise. Dass Chimera Orlando King war, erklärte überhaupt nichts, sondern warf neue Fragen auf. Jetzt wusste ich noch weniger als vorher.
»Doch mein Sinneswandel, wie man so schön sagt, kam erst später. Achtundvierzig Stunden nach dem Überfall wurde Wolfslykanthropie im Blut nachgewiesen. Ich beschloss, noch
so viele Monster wie möglich zu erledigen und mich bis zum nächsten Vollmond von ihnen töten zu lassen.« Er sah an mir vorbei ins Leere, während er daran zurückdachte. »Ich übernahm die gefährlichsten Aufträge und
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