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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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schweigend, ergeben. Die meisten Männer sehnen sich danach, eine solche Frau kennen zu lernen. Sie träumen davon, wagen aber nicht, dies laut zu sagen, weil sonst die anderen denken könnten, sie seien rückständige Machos. Dabei ist das toll: eine warme, sinnliche Frau, nachsichtig, häuslich, masochistisch. Am liebsten würde ich ihr den Schwanz reinstecken und ihr eine Reaktion entlocken: »Schrei, verdammt noch mal, sag etwas, markier hier nicht das Duckmäuschen!«
    Sie unterbrach meine Gedanken:
    »Ich habe Ihnen ein paar Zigarren mitgebracht. Wollen Sie sie sehen?«
    »Ja.«
    Sie stand auf und holte sie. Mein Blick folgte ihr. Viel zu dünn, anämisch. Ihr Mann verdient wahrscheinlich einen Hungerlohn, von dem sie dann zu fünft überleben müssen. Gloria sagt, der Kerl verprügele sie nach Strich und Faden. Seit zwei Monaten arbeitet sie in einer Tabakfabrik. Ein Jahr lang muss sie als Lehrling Havannas drehen, ehe sie fest eingestellt wird. Jeden Tag klaut sie ein paar. Und verkauft sie an mich. Für zwei kubanische Pesos, das heißt für zehn amerikanische Cent. Sie kommt mit einem Bündel zurück. Dreißig herrliche Zigarren. Lanceros. Sehr erlesen. Wortlos hält sie sie mir hin. Schüchtern lächelt sie und senkt den Blick. Wieder sehe ich sie mir an. Ziehe die sechzig Pesos aus der Tasche und gebe sie ihr.
    »Danke, Minervita.«
    »Nichts zu danken, immer zu Ihren Diensten.«
    »Minervita …«
    »Ja, bitte?«
    »Mach ein bisschen Musik an.«
    »Nein, nein. Der Apparat gehört Gloria, und ich weiß nicht, wie man damit umgeht.«
    Ich sehe sie fest an.
    »Wenn ich dein Mann wäre, würde ich dir jeden Tag eine Tracht Prügel verpassen.«
    »Oje, warum denn?«
    »Entweder wirst du ein bisschen munter, oder du verblödest völlig. Die Peitsche brauchst du.«
    »Nein, nein! Um Himmels willen!«
    »Nein? O doch! Viel Bett und viel Lederriemen!«
    Sie sah mich mit den sanftesten, schwärzesten und zärtlichsten Augen der Welt an. Zahm wie ein Täubchen. Was für eine sinnliche Frau, verflucht noch mal! Sie weiß, dass ich lüge. Wäre sie meine Frau, würde ich sie nur verführen, hypnotisieren können. Bestimmt liebt sie Blumen. Was steckt hinter diesen Augen? Gelassenheit? Resignation? Weisheit? Dummheit? Sie kann meinem Blick einfach nicht standhalten, schaut zu Boden. Sie ist ein Rätsel, ein Buch mit sieben Siegeln.
    »Leg eine Kassette ein, Minerva.«
    »Ich weiß nicht, wie man damit umgeht. Was, wenn ich etwas kaputtmache? Wer will es schon mit meiner Schwester zu tun kriegen?«
    Ich stehe auf. Gehe hinüber zum Rekorder. Luis Miguel. Boleros. La media vuelta – Die Kehrtwende:
     
    Du gehst, weil ich will, dass du gehst,
    ich bestimme, wann ich dich hier halte.
    Ich weiß, dass du meine Zärtlichkeit brauchst,
    denn, ob du willst oder nicht, dein Herr bin ich.
     
    Ich packe sie an der Taille: »Komm schon, lass uns tanzen.«
    »Nein, nicht.«
    Aber sie hat schon nachgegeben. Zeigt nur noch ein Fünkchen Widerstand: »Was ist, wenn meine Schwester kommt und uns so sieht? Zu Ihnen wird sie nichts sagen, aber zu mir …«
    »Ach, Kleines, sei jetzt nicht …«
    Ich wollte gerade sagen: »Sei jetzt nicht dumm«, halte mich aber zurück. Ich packe sie, drücke sie fest an mich. Und wir tanzen gemächlich. Sie riecht nach warmer Haut. Genau wie Gloria. Ein leichter, warmer Geruch. Keine Spur von Parfüm oder Schminke. Unter den Achseln trägt sie bestimmt einen Hauch von Schweißaroma. Sie presst sich an mich.
     
    Ich will, dass du hinaus in die Welt gehst,
    will, dass du viele Leute kennen lernst.
    Ich will, dass andere Lippen dich küssen,
    damit du mich heute wie immer vergleichst.
     
    Wenn du eine Liebe findest, die dich versteht,
    und spürst, dass sie dich mehr als jeder andere liebt,
    dann mache ich sofort kehrt
    und gehe mit der Sonne, wenn sie am Abend stirbt.
     
    Dann mache ich kehrt und gehe mit der Sonne, wenn sie am Abend stirbt.
     
    Eng aneinander gepresst tanzen wir. Fügsam lässt Minerva mich führen. Genüsslich habe ich die Augen geschlossen. Plötzlich explodiert Gloria neben mir: »Ja, was ist denn das hier? Seit wann muss ich mir so etwas gefallen lassen? In meinem eigenen Haus, noch dazu mit meiner Schwester!«
    Sie war vorsichtig hereingekommen und hatte uns überrascht. Wir lösen uns voneinander. Minerva senkt den Kopf und weiß nicht, was sie tun soll.
    »Ach, Gloria …«
    »Nein, nichts da, Pedro Juan. Das ist Mangel an Respekt. Mal sehen, ob …«
    Sie greift mir in
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