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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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sie täten es, weil sie keinen Sandstrand mochten, sondern nur einen mit Steinen und Schutt. Andere sagten, wenn die Amerikaner versuchen sollten, an diesem Strand zu landen und nach Havanna vorzudringen, würden die Steinbrocken das Vorankommen des Feindes behindern. Den Zweck erfuhr man nie. Jedenfalls war jetzt ein gutes Stück Strand mit riesigen Steinbrocken verhunzt. Dahinter ging der Sandstrand weiter. Vor zwanzig Jahren stand da ein altes, zerfallenes Holzhäuschen, und ich schoss ein paar Fotos in der Abenddämmerung, eine Komposition aus den riesigen Steinblöcken, dem zerfallenden Haus und dem Wasser, mit viel Schatten und flimmerndem Licht, und schrieb eine sehr poetische Chronik, die etwas absurd Romantisches über all das sagte. Als sie in einer Kulturzeitschrift veröffentlicht wurde, erklärte eine wichtige Dame, sie finde es sehr poetisch und erfreulich, einen so erfrischenden Bericht aus so originellem Blickwinkel in unserer Presse zu finden, und das solle allen anderen Journalisten ein Beispiel sein, denn Kuba sei voller herrlicher Landschaften. Insofern, sagte sie, sollten alle Journalisten Initiativen wie diese ergreifen und sich nicht nur Versammlungen, Akten des Patriotismus und Reportagen über die Zuckerrohrernte widmen. Ich fühlte mich von den Lobeshymnen dieser so wichtigen Dame ziemlich gebauchpinselt.
    Wenige Meter von den Steinblöcken entfernt hatte man jetzt ein paar sehr hässliche Häuser gebaut, eins dicht ans andere gedrängt und mit schrillen Farben bemalt. Ein paar Arbeiter verbrachten dort mit ihren Familien ein paar Tage Urlaub. Sie aßen und tranken, und viele Kinder schrien und spielten, und die dicken Frauen lachten laut und zankten mit den Kindern und gaben ihnen ein paar hinter die Ohren und schlurften in ihren Latschen hin und her von der Küche zum Eingang und vom Eingang zur Küche. In jedem der Häuschen versuchte man, eine andere Musik zu hören. Zugleich spielten alle Domino, unterhielten sich lauthals, knallten die Plastiksteine auf den Holztisch und schrien immer lauter, um die Musik zu übertönen. Sie lachten laut und riefen: »Ha, diesmal habe ich dich am Arsch, du Verlierer, verflucht noch mal, verdammter Verlierer! Dass du nur weißt, mit wem du es zu tun hast! Mich hat man zu respektieren … He, Püppchen, bring uns noch ein Bier!« Es war noch sehr früh, aber sie tranken schon einen Liter Bier nach dem anderen, dazu Rum, denn das hier war ihr Jahresurlaub, und den mussten sie nutzen und sich amüsieren und in vollen Zügen genießen. Anscheinend bewohnten die triumphierenden Sieger ein Häuschen, das in den Farben Purpur, Gelb und Grün mit Türen und Fenstern in Blau gestrichen war. An der Haustür waren zwei große Schalltrichter angebracht, und sie genossen die volle Lautstärke und zwangen alle anderen zum Genuss des gerade angesagten Hits:
     
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Jetzt, jetzt, jetzt. Wollen wir doch mal sehen,
    wartet hier mit erhobener Hand,
    wollen wir doch mal sehen, mit erhobener Hand
    ahhhhhhlmhhhhhhlmhhhhhlmhhhhhhhhhhhhhh
    schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
    Erdbeer und Schokolade
    Schluck schon, schluck
     
    Ich wanderte durch den Sand zurück zu meiner Kokospalme. Ein Weg von zweihundert Metern. Drei Rinnsale aus Urin, Fett und Scheiße rannen ständig aus den Cafeterien und nahe gelegenen Häusern und beförderten ihre Schweinereien zum Strand. Ein ekelhafter Gestank. Die Scheiße verfolgt mich.
    Doch ein Stückchen weiter auf Höhe der Kokospalme war alles weiterhin still. Weder stank es nach Scheiße, noch hörte man die Musik, und das Meer gab sich blau und sauber mit schaumigen Wellen und schöner Sonne. Es fehlten nur noch die Muschelhörner der Sirenen und ein achtzigjähriger Poet, der mit seinem weißen, im Wind wehenden Haar all dies in Reime fasste.
    Letzten Endes war alles in bester Ordnung, und ich sagte mir: »Worüber beschwerst du dich, Pedro Juan? Sei nicht so aggressiv, alter Knabe. Bleib hier an diesem Fleckchen, es ist königlich, wie
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