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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch
Autoren: Julia Crouch
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Geld hatte es Rose, ihrem einzigen Kind und der größten Enttäuschung ihres Lebens, ermöglicht, sich einen Traum zu erfüllen. Die Tatsache, dass ihre Eltern sie überhaupt bedacht hatten, war eine große Überraschung gewesen. Rose hätte vermutet, dass ihr Geld an die Kirche gehen würde oder ans Tierheim oder an eine Organisation für Spießbürger in Not. Aber niemals an sie.
    Das alte Pförtnerhaus, das anfangs nicht viel mehr gewesen war als eine Ruine, der Schmetterlingssträucher aus dem Dach wuchsen, war Rose und Gareth wie der ideale Stoff für ihren Traum erschienen. Sie hatten sich entschlossen, den überwiegenden Teil der Bauarbeiten selbst zu übernehmen, zum einen aus Kostengründen, zum anderen wegen der Erfahrung an sich. Gareth hatte gemeint, ihm sei es wichtig, damit sie eine echte Beziehung zu ihrem neuen Haus aufbauen könnten. Seine Begeisterung war ansteckend gewesen. Wenn Gareth sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte – ob nun gut oder schlecht –, ließ er sich durch nichts und niemanden von seinem Ziel abbringen. Er ging den Weg vom Anfang bis zum Ende.
    Aus genau diesem Grund war Rose nun so darauf bedacht, jegliche Vorbehalte, die er gegen Pollys Besuch hegte, im Keim zu ersticken.
    Das Mondlicht verwob sich mit dem windgekräuselten Wasser, und Gareth zupfte an einem Weidenzweig.
    »Es ist völlig unmöglich, Polly nicht zu bemerken«, sagte er. »Wenn sie eins nicht ist, dann ruhig und unauffällig.«
    »Deswegen mag ich sie ja so«, antwortete Rose. Sie betrachtete Gareth, während er weiterhin aufs Wasser blickte. Ein Nerv zuckte in seiner Wange, sein Kiefer war angespannt.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Ich bin bloß müde.«
    Sie seufzte. Das war seine Art, ihr zu verstehen zu geben, dass er allein gelassen werden wollte. Aber diesmal würde sie ihm den Gefallen nicht tun. Wenn sie die Dinge jetzt auf sich beruhen ließ, würde es in einer Katastrophe enden.
    Damals in London hatte er sich einfach in die Arbeit gestürzt, wenn er schlechte Laune gehabt hatte. Er war in seinem Atelier verschwunden und ein paar Tage später mit zwei oder drei fertigen Bildern wieder aufgetaucht, die dann schnurstracks in die Galerie wanderten. Ihm hatte dieser Arbeitsrhythmus gut gepasst, aber für Rose, die währenddessen ganz allein mit Anna zu Hause gesessen hatte, war die Situation schwierig gewesen. Manchmal hatte sie sich gewünscht, dass sie Probleme gemeinsam angehen könnten. Dass sie sich einfach hinsetzen und über alles sprechen könnten, bis tief in die Nacht hinein, so wie es – zumindest in ihrer Vorstellung – andere Paare machten. Wenn sie das getan hätten, dann wäre ihr Leben durch die zweite Schwangerschaft mit Sicherheit nicht ganz so sehr aus den Fugen geraten. Außerdem wäre sie froh gewesen, wenn ihr nicht immer die unangenehme Aufgabe zugefallen wäre, Gareths Verhalten Anna gegenüber rechtfertigen zu müssen, wenn diese wissen wollte, wieso sie ihren Vater tagelang nicht zu Gesicht bekam.
    »Er muss arbeiten, Schätzchen«, hatte Rose immer gesagt, und dann waren sie zusammen in die Küche gegangen, um einen Kuchen zu backen.
    In Hackney hatte das noch reibungslos funktioniert. Das Atelier hatte weit weg auf der anderen Seite des Victoria Parks gelegen. Aber in ihrem neuen Haus, vor allem während der Umbauphase, hatten sich Arbeit und Alltag kaum voneinander trennen lassen. Gareth hatte sich nirgendwohin zurückziehen können und alle mit seiner depressiven Stimmung angesteckt.
    Es war schon einmal passiert. Rose wollte nicht, dass es ein zweites Mal passierte.
    »Hör zu, Gareth. Christos ist tot. Dein Freund. Dein sehr, sehr alter Freund. Kannst du dich nicht ihm zuliebe damit arrangieren?«
    »Es ist doch sowieso egal, was ich dazu sage, oder?«, meinte er, zog ein Blättchen aus der Rizla-Packung und begann, sich eine neue Zigarette zu drehen.
    »Wir reden doch jetzt darüber.«
    »Aber du hast es längst entschieden, das sehe ich doch.«
    »Wenn du willst, dann rufe ich Polly jetzt gleich an und sage ihr, dass sie nicht kommen kann«, erklärte Rose. Ein Teil von ihr wollte es selbst. Sie wusste, dass Gareth recht hatte, der Zeitpunkt war wirklich denkbar ungünstig. Aber das durfte sie ihm gegenüber auf keinen Fall zugeben, nicht jetzt.
    »Ich hätte es bloß gut gefunden, wenn wir es besprochen hätten, bevor du ja gesagt hast«, meinte er.
    »Aber was hätte ich denn tun sollen? Polly und ich sind praktisch zusammen aufgewachsen. Sie
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