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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch
Autoren: Julia Crouch
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hören, wie es anschwoll, abschwoll; anschwoll, abschwoll.
    Rose legte die Hand über die Muschel und sagte es Gareth. Gareth holte scharf Luft, dann schloss er die Augen, ließ das Gesicht in die Hände sinken und presste die Fingerspitzen gegen die Stirn. Christos und er waren gute Freunde gewesen, früher, vor Polly. Durch Christos hatten sich Rose und Gareth überhaupt erst kennengelernt.
    Rose kehrte zu ihrem Gespräch mit Polly zurück. »Wie geht es dir?« Sie versuchte, ihrer Freundin zuliebe, ihre eigene Erschütterung und ihren Schmerz zu unterdrücken. Ihr stand es nicht zu, so sehr um Christos zu trauern wie Polly.
    »Wir haben ihn beerdigt, und sämtliche Tanten, Cousins, Cousinen und seine gottverdammte Mutter haben mir ungefähr tausendmal ein Leben im Überfluss gewünscht. Wir warten noch die Trauerfeier ab, dann bin ich weg hier.«
    »Und die Jungs? Wie geht es denen?« Rose hatte Schwierigkeiten, für diese Frage ihre Stimme zu finden. Nico und Yannis waren Pollys und Christos’ Söhne. Eines Sommers hatte Rose sie mit Anna besucht, und vierzehn Tage lang hatten sie nichts anderes gemacht, als zusammen zu schnorcheln und in der Sonne zu liegen. Das war kurz bevor sie mit dem Umbau des Hauses begonnen hatten. Rose konnte sich noch genau daran erinnern, wie Nico, damals sieben, vor ihr aus dem Wasser aufgetaucht war, in der Hand einen perfekten Seeigelpanzer und im Gesicht ein Lächeln, so breit wie die sandige Bucht hinter ihnen. Die Jubelschreie von Christos, der sich über den Fund seines Sohnes freute, waren bis zu ihnen übers glitzernde Wasser gedrungen. Rose erschauerte. Sie hätte sie öfter besuchen sollen. Jetzt war es zu spät.
    »Ich will ihn ständig anfassen«, sagte Polly. »Das macht mir richtig Angst. Früher wollte ich es gar nicht so sehr – als ich es noch konnte. Aber jetzt kann ich an nichts anderes mehr denken. Es ist, als hätte ein Feuer alles verbrannt.«
    »Und die Jungs?«, fragte Rose erneut.
    »Die sind noch zu klein, um wirklich zu begreifen, was das alles bedeutet. Es wird ihnen schon noch früh genug kla rwerden, aber im Augenblick haben sie keine Vorstellung davon, dass es ab jetzt immer so sein wird. Scheiße.« Rose hörte das Klirren von Glas, das auf Stein zerbrach.
    »Ich komme gleich morgen zu euch«, erklärte sie, trotz des warnenden Blicks, den Gareth ihr aus tränenfeuchten Augen zuwarf. Noch im selben Augenblick allerdings wurde ihr klar, dass es Irrsinn wäre, alles stehen und liegen zu lassen und mit einem kleinen Baby in den südöstlichsten Winkel Europas zu fliegen. Gareth sollte endlich wieder Zeit zum Arbeiten haben; er brauchte sie, damit sie ihm den Rücken frei hielt.
    »Nein«, formte Gareth mit den Lippen. Trotz des Gemäldes im Ankleidezimmer – das er eigentlich nur Rose zuliebe aufgehängt hatte und weil es eine von Christos’ besten Arbeiten war – hatte er Polly nie gemocht. Einmal hatte er sogar gesagt, dass es ihm bei ihr kalt den Rücken herunterlaufe, was für Gareths Verhältnisse ein ziemlich harsches Urteil war.
    »Nein. Bleib, wo du bist. Ich und die Jungs kommen nach England. Uns hält hier eh nichts mehr«, sagte Polly.
    »Dann müsst ihr aber zu uns kommen und bei uns wohnen«, erwiderte Rose und sah Gareth dabei fest an. »Ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt.«
    Gareth ging zum Tisch zurück, um sich ein zweites Glas Wein einzugießen. Er kehrte Rose dabei den Rücken zu.
    Aber was kann er schon dagegen sagen?, dachte sie. Er wird sich damit abfinden müssen.

2
    E s war ein langes Telefonat. Erst nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, merkte Rose, dass Gareth nicht mehr in der Küche war. Sie suchte im Haus nach ihm, konnte ihn aber nirgends finden. Also zog sie sich ihre Barbourjacke über, stieg in ein Paar Stiefel, nahm eine Taschenlampe und das Babyfon und ging nach draußen. Die Nachricht von Christos’ Tod hatte sie bis ins Mark getroffen, sie konnte es immer noch nicht ganz begreifen. So machte sie sich auf den Weg in die mondbeschienene Nacht hinaus. Sie wusste, wo Gareth zu finden sein würde.
    Am unteren Ende der Wiese floss träge ein tiefer Fluss, und an seinem Ufer stand eine große alte Weide mit einem flachen Findling davor. Rose hatte die Stelle fünfzehn Monate zuvor entdeckt, nachdem sie Gareth gesagt hatte, dass sie schwanger war.
    Sie war ein Unfall gewesen, die Schwangerschaft. Das Ergebnis eines sehr ausgelassenen Richtfests, für das sie Anna zu Bekannten abgeschoben und sämtliche Nachbarn
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