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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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behandelt fühlt, besinnt sich auf seine »Grundrechte« wie auf einen Forderungskatalog, den Millionen nörgelnder Einzelkinder ihrem »Vater Staat« entgegenhalten. In Wahrheit sind die Grundrechte ihrer Konzeption nach keineswegs Gutscheine auf persönliche Fürsorge, sondern ein Abwehrschirm gegen staatliche Eingriffe. Die individuelle Freiheit wird nicht geschützt, um dem Bürger X oder Y einen Gefallen zu tun. Die Grundrechte sind Ordnungsprinzipien, die eine Gesellschaft so organisieren, daß sie sich in demokratischen Verfahren durch ihre Repräsentanten selbst regieren kann. Es ist ein Irrtum, wenn der Einzelne glaubt, mit den Entscheidungen in Brüssel, Washington, London oder Berlin habe er nichts zu tun, solange immer nur von »Terroristen« die Rede ist. Wer sich nur dann an seine Grundrechte erinnert, wenn er sich persönlich geschädigt fühlt, hat entweder nicht verstanden, worum es geht, oder zeigt sich schlicht verantwortungslos.
    Was für einen Wert die Grundrechte tatsächlich für uns haben und wieviel wir ihrer Entwicklung verdanken, gerät zunehmend in Vergessenheit. Schnulzige Schmöker verklären die Aristokratie; Blockbuster legitimieren Folter und das Recht des Stärkeren. Neuerdings, da das Wort Utopie als Schimpfwort gebraucht wird, lohnt es sich, über Oscar Wildes Satz nachzudenken, daß »Fortschritt nur umgesetzte Utopie« sei. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit wäre die Vorstellung, alle Menschen könnten gleich viel wert sein, als lächerliches Wunschdenken abgetan worden. Wir Europäer sind, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen auf der Welt, Nutznießer einer in Erfüllung gegangenen Utopie. Nun ist es an uns, das Erreichte zu erhalten und eine neue Vision, nämlich jene vom Schutz der persönlichen Freiheit im Kommunikationszeitalter, umfassend zu verwirklichen.

    Anmerkungen zu diesem Kapitel

Drittes Kapitel: Von jenen, die auszogen, das Fürchten zu lehren
    Wir hatten Angst. Morgens wachten wir auf, dachten an den Eisernen Vorhang und fragten uns, was Böses gegen uns ausgeheckt werde. Zeitungen berichteten von Jugendlichen, die vor lauter Sorge nicht mehr schlafen konnten. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen Atomwaffen zu demonstrieren.
    Wir lebten in der festen Überzeugung, daß unser Land im Fall des Ausbruchs eines dritten, höchstwahrscheinlich atomaren Weltkriegs zum Schlachtfeld werden würde. Als Kinder lernten wir in der Schule, uns bei Giftgasangriffen einen mit Backpulver bestreuten Waschlappen vors Gesicht zu pressen. Wohlhabende Familien bauten die Keller ihrer Villen zu Bunkern um und verstauten dort Konservensuppen und Milchpulver. In Filmen und Romanen wurde die nukleare Vernichtung der Welt vorweggenommen. Spätestens seit dem Ausbruch der Kubakrise fürchteten viele, das 21. Jahrhundert nicht mehr zu erleben.
    Kann sich heute noch jemand an dieses Lebensgefühl erinnern? Wenn die Propheten des Untergangs im Jahr 2009 das Ende der westlichen Zivilisation voraussagen und von der massiven Bedrohung unserer Kultur durch Selbstmordattentäter sprechen – denkt da noch jemand daran, wie es sich lebte, als amerikanische und sowjetische Atomraketen auf deutschem Boden standen?

    Mit der Wende der Jahre 1989/90 hat sich für uns Entscheidendes geändert. Unser Land ist nicht länger ein potentielles Schlachtfeld für einen möglichen Weltkrieg. Aus zwei gewaltsam geteilten deutschen Staaten ist wieder einer geworden. Ein Jahrzehnt lang haben viele Menschen gehofft, daß sich für die Welt im Ganzen etwas zum Besseren wenden könnte. Der Zusammenbruch des Blocksystems bot die einmalige Chance, die Welt nach einem System zu ordnen, das auf freiwilligem Austausch und Verhandlungen statt auf Abschreckung und allseitiger Angst vor Vernichtung basiert. Nach dem Kalten Krieg war weltweit ein Rückgang der Militärausgaben zu verzeichnen – dieser Trend endete aber schon im Jahre 1998. Seitdem sind sie wieder gestiegen, um 45 Prozent. Im Jahre 2004 erreichten die weltweiten Militärausgaben fast 1000 Milliarden Dollar, knapp die Hälfte davon entfiel auf die USA. Deutschland, bei den Rüstungsausgaben »nur« an sechster Stelle, ist dabei der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.
    Ein Antrieb für die Remilitarisierung ist der »Krieg gegen den Terror« (War on Terror) . Dieser Krieg wird bezeichnenderweise nicht gegen einen konkreten Feind, sondern gegen ein Phänomen geführt. Somit handelt es sich um einen metaphysischen Krieg, denn ein
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