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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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die Welt in zwei Hälften. Nicht mehr Kommunismus gegen Kapitalismus, sondern Morgenland gegen Abendland. Die Dämonisierungen, die kollektiv geschlürften Cocktails aus Pauschalurteilen, Propaganda und Polemik sind die gleichen geblieben. Alles in bester Weltordnung. Der Kalte Krieg ist in einen Heißen Frieden übergegangen – nicht als notwendige Konsequenz der Ereignisse, sondern als Folge einer rhetorischen Hysterie.
    Im Alltag des Einzelnen trägt die neue, gefühlte Friedlosigkeit seltsame Züge. Am Flughafen ziehen wir unsere Schuhe und Gürtel aus und warten um so länger, wenn vor uns in der Schlange ein Mann mit arabischem Nachnamen oder orientalischen Gesichtszügen steht. Unsere Nagelscheren sind in den Besitz der StarAlliance übergegangen. Zehntausende Flugpassagiere (darunter Persönlichkeiten wie der amerikanische Senator Edward Kennedy oder Nelson Mandela) wurden fälschlicherweise als Terrorverdächtige gelistet und daran gehindert, ein Flugzeug zu besteigen. In den Nachrichten vernehmen wir die immergleichen Meldungen aus dem Irak und Afghanistan und haben längst aufgehört, die Toten zu zählen. Forderungen und Fragen, die wir längst bei den Akten glaubten, erfahren eine Renaissance: Daß Deutschland eine Leitkultur brauche. Wieviel religiöse Symbolik ein Lehrerkörper vertrage. Ob unser Wertesystem wehrhaft genug sei.
    Das alles sind Effekte der Tatsache, daß sich Innenpolitik mittlerweile als eine Art Landesverteidigung versteht. Es sei nicht die Frage, ob es eines Tages zu einem nuklearen Terroranschlag komme, ließ Bundesinnenminister Schäuble verlauten, sondern nur wann. Angesichts solcher Bedrohungen möchte sein Staatssekretär August Hanning Menschen selbst auf dem Klo bespitzeln.Bei sinkender Kriminalitätsrate im Inneren und vergleichsweise entspannter Politik zwischen den Großmächten wird dahergeredet, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor.

    Gewiß kommen darin Symptome einer generellen Verunsicherung zum Ausdruck. Aber ist diese Verunsicherung nicht vielmehr Folge einer Übergangssituation, in der die Welt nach 1989/90 neu geordnet werden muß, während sie sich gleichzeitig mit Problemen wie der Finanzkrise, der ökologischen Zerstörung und der fortdauernden Instabilität vieler Regionen auseinanderzusetzen hat? Warum werden gerade mit der »terroristischen Bedrohung« weitreichende Umbaumaßnahmen in Politik und Gesellschaft gerechtfertigt?
    Der Begriff der »terroristischen Bedrohung« geht uns inzwischen völlig selbstverständlich über die Lippen. Wer ihn öffentlich hinterfragen will, gerät in Gefahr, für völlig naiv gehalten zu werden oder gar selbst als verdächtig zu gelten. Nehmen wir die »terroristische Bedrohung« trotzdem einmal unter die Lupe. Unter einer »Drohung« verstehen Juristen das In-Aussicht-Stellen eines künftigen Übels. Das Übel, welches der Terrorismus direkt in Aussicht stellt, sind die Opfer möglicher Anschläge. So grauenhaft diese Folgen im Einzelfall für die betroffenen Personen sind – vergleicht man die Opferzahlen statistisch mit den Verkehrstoten (Jahr um Jahr etwa 5000), den an Hitzeschlag (allein im Sommer 2003 waren es 9000 Tote) oder an Grippe Verstorbenen (jährlich 15.000) sowie den Opfern einer falschen medikamentösen Behandlung im Krankenhaus (seit 2001 sage und schreibe 50.000 Menschen), kommt man nicht auf die Idee, daß Terrorismus die größte Bedrohung unserer Sicherheit sei.
    Der besondere Schrecken des Terrorismus besteht darin, daß er sich im weitesten Sinn politisch motivierter Gewalt bedient. Das heißt: Einem terroristischen Verbrechen wohnt Bedeutung inne. Ein Attentat pocht auf seinen symbolischen Gehalt. Der Anschlag auf das World Trade Center war nicht nur ein Massenmord an rund 3000 Menschen, sondern eine Metapher auf den gewünschten Untergang der USA oder gleich der gesamten »westlichen Welt«.
    An diesem Punkt nistet ein fatales Mißverständnis. Die Botschaft solcher Anschläge lautet nicht: »Wir werden euch zerstören.« Sie lautet: »Wir fordern euch zur Selbstzerstörung auf.« Warum das so ist? Weil uns der Terrorismus allein keinen nachhaltigen Schaden zufügen kann. Kein Land der Welt ist jemals durch Attentate wie jene des »islamistischen Terrors« ins Verderben gestürzt worden; keine Regierung wurde auf diese Weise abgesetzt. Terroristen besitzen nicht die Macht, unseren Rechtsstaat zu zerschlagen, unsere Werte abzuschaffen und unsere Gesellschafts- und Lebensformen zu ändern.
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