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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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gewesen sein? Na, wenn man so heißt, liegt eine Verwechslung nahe, selber schuld. Und wie steht es mit Ihrer Lebensgefährtin, die kauft jede Menge Haarfärber, Fleckenlöser und Batterien. Das bedeutet: Wasserstoffperoxid, Azeton, Schwefelsäure! Halten Sie uns für blöd? Daraus kann jeder Idiot eine Bombe bauen. Natürlich behaupten Sie, Ihre Lebensgefährtin habe nicht vor, eine Bombe zu bauen. Das würde jeder antworten. Sollten Sie allerdings die Wahrheit sagen – wo liegt dann das Problem? Wir helfen Ihnen doch nur, diesen leidigen Verdacht aus der Welt zu schaffen, indem wir genau hinschauen. Das muß doch auch für Sie eine Erleichterung sein.
    Kein Grund zur Beunruhigung also. Alles geschieht zu Ihrem Besten. Der Staat paßt auf Sie auf. Der Staat ist Ihr Vater und Ihr Beschützer. Er muß wissen, was seine Kinder treiben. Wenn Sie nichts Schlimmes verbergen, haben Sie auch nichts zu befürchten. Die Entscheidung aber, was schlimm ist, überlassen Sie bitte den Spezialisten. Bedenken Sie, daß Sie sich verdächtig machen, wenn Sie nicht alles offenlegen. Wenn Sie mitspielen, müssen Sie keine Angst haben. Wir sind nicht die Stasi oder das FBI. Sie leben in einer gesunden Demokratie. Da kann man schon ein bißchen Vertrauen von Ihnen erwarten.
    Was? Der Staat soll Ihnen vertrauen? Wo kämen wir da hin! Schon das Grundgesetz sagt, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht. Und Gewalt gilt es einzudämmen. Da sind Sie ja wohl einer Meinung mit dem Innenministerium.
    Gehen Sie nur, Ihr Schatten bleibt hier. Man hört, sieht und liest von Ihnen.
    Achtung bitte, wir unterbrechen diesen Text für eine wichtige Durchsage: Dies ist keine Science-fiction. Wir wiederholen: Keine Science-fiction. Dies ist nicht 1984 in Ozeanien, sondern das Jahr 2009 in der Bundesrepublik. Falls Sie sich immer noch nicht verdächtig fühlen – herzlichen Glückwunsch. Sie sind ein unbeugsamer Optimist. Wollen wir hoffen, daß Sie nicht soeben durch den Kauf dieses Buchs zu einem verdächtigen Optimisten geworden sind.

    Anmerkungen zu diesem Kapitel

Erstes Kapitel: Raus aus dem Topf
    Nehmen wir einmal an, Sie, lieber Leser, sind im Westen der Republik geboren, irgendwann zwischen – sagen wir – 1950 und 1990. Sie wurden hineingeboren in eine Gesellschaft, die sich für freiheitlich und demokratisch hält. In der Schule haben Sie in allen Fächern außer in Mathematik das »Dritte Reich« durchgenommen, und wenn es überhaupt ein universelles Gesetz gab, dann lautete es: So etwas soll bei uns nie wieder geschehen. Nie wieder wollen wir Menschen zu Nummern machen. Nie wieder wollen wir per Kategorisierung zwischen wertvollen Bürgern und Feinden der Gesellschaft unterscheiden. Wir wollen keine Geheimpolizei, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Wir wollen nie vergessen, was es bedeutet, wenn Menschen zu Objekten totalitärer Machtausübung werden. Deshalb, so hat man es Ihnen beigebracht, müssen die demokratischen Freiheiten, die wir genießen, jetzt und für alle Zukunft vom kritischen Bewußtsein der Bürger geschützt werden. Jeder ist berufen, sich für Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen und das Grundgesetz nicht nur als geltendes Recht, sondern als Wertordnung zu begreifen. Diese Lektion, meinen Sie, wurde in unserem Land gründlich gelernt.
    Sind Sie sicher?

    Nehmen wir an, Sie, lieber Leser, sind im Osten Deutschlands geboren. In einem System, das sich ebenfalls freiheitlich und demokratisch nannte. Doch Sie haben staatliche Repressalien selbst erlebt. Sie haben sich gewünscht, in Ihrer Wohnung ein offenes Gespräch führen zu können, ohne die Musik bis zum Anschlag aufzudrehen. Sie haben davon geträumt, nicht an fahnenschwenkenden Manifestationen teilnehmen zu müssen.Sie hätten viel dafür gegeben, unabhängig von unfähigen Parteibonzen Karriere zu machen. Sie wollten nicht auf schwarzen Listen geführt werden, Sie hatten die Nase voll von einem Staat, der Sie als Feind behandelte und Politik als Krieg gegen den Bürger verstand. Sie träumten von einer Gesellschaft ohne Überwachung und Verdächtigung, von einem Miteinander ohne Bespitzelung und Verrat. Wahrscheinlich haben Sie besser als manch einer aus dem Westen begriffen, was mit freiheitlichen Werten gemeint ist. Vielleicht haben Sie sich auch »Nie wieder!« geschworen. Mit der Wende hat sich für Sie ein Traum erfüllt.
    Sind Sie sicher?

    Die Anschläge vom 11. September 2001 waren spektakulär in ihrer Scheußlichkeit. Sie versetzten manche Staaten in
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