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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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wertvollsten Geschenke früherer Generationen an uns, sondern eine wichtige Grundlage, um in Zukunft immer wieder für eine freiheitliche und gerechte Welt zu streiten.
    Auch wenn Philosophen die Vorstellung von der natürlichen Freiheit des Einzelnen schon in der Antike formulierten, sind die Rechte des Einzelnen, ob Menschen-, Bürger- oder Grundrechte, nicht vom Himmel gefallen. Während die meisten Religionen der Überzeugung Ausdruck gaben, vor Gott seien alle Menschen gleich, waren die Unterschiede zu Lebzeiten um so größer: Als König oder Tagelöhner kam man zur Welt, ohne Chance, durch persönliche Anstrengung etwas an der eigenen Situation zu ändern.
    In der christlich-römischen Antike war die Freiheit des Individuums kein Allgemeingut, sondern ein Privileg der Oberschichten. Der Freiheitsbegriff wurde philosophisch untersucht, ohne zum politischen Ideal erhoben zu werden. Einen ersten Schritt in Richtung eines politischen Grundrechts erfuhr die Freiheit im Glauben des Judentums, das mit dem Auszug aus Ägypten eine grundsätzliche Anerkennung der persönlichen Freiheit für jedes Mitglied des Volkes Israel verband. Das frühe Christentum hingegen verlagerte die Idee von Freiheit im wesentlichen in eine jenseitige Welt, während der Mensch auf Erden vor allem »innerlich« frei werden konnte von den Zwängen des Lebens.
    Unter Nomaden und in Stammesgesellschaften gab es immer wieder herrschaftsfreie Gemeinschaften, in denen der Einzelne allen anderen gleichgestellt war und Entscheidungen im Verbund getroffen wurden. Nachdem sich aber Seßhaftigkeit und Agrarwirtschaft etablierten und staatliche Strukturen entstanden, konzentrierte sich die Macht in den Händen einiger weniger, die über das Recht selbst richteten, während die große Mehrheit der Bevölkerung entrechtet blieb. Quod licet Iovi, non licet bovi – was Jupiter darf, darf ein Rindvieh noch lange nicht, lautete die römische Maxime. Die Herrschenden konnten über Leben, Freiheit und Eigentum der Untertanen nach Belieben verfügen, sie mußten ihre Entscheidungen nicht rechtfertigen. Die Leidtragenden konnten weder Einspruch einlegen noch eine Rücknahme erwirken. Sklaverei, Fronarbeit, Zwangsdienst waren selbstverständlich. Selbst wer zum Hofstaat gehörte, also zu den Privilegierten zählte, war seines Lebens nicht sicher, wie die berühmten Beispiele von Petronius und Seneca, Thomas Morus und Walter Raleigh beweisen. Aus der generellen Unfreiheit resultierte eine tägliche existentielle Unsicherheit, die das Leben fast aller bestimmte.
    Die sprachliche Wendung im Deutschen, daß Willkür »herrsche«, bringt die inhärente Gewalt solcher Machtverhältnisse auf den Punkt: Wo sich Herrschaft entfaltet, droht schrankenlose Willkür. Dieser Willkür einen Riegel vorzuschieben war das zentrale Anliegen einer Reihe fortschrittlicher Denker, von Aristoteles über Avicenna, Spinoza, Locke, de Montesquieu, Rousseau bis Kant. Die Aufklärung wollte den Menschen nicht nur aus seiner geistigen, sondern auch aus der staatlich erzwungenen Unmündigkeit herausführen. Parallel zu den Stürmen im Studierzimmer forderten unzählige revolutionäre Aufstände und Reformbemühungen (darunter die Bauernkriege, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 sowie die »Federalist Papers« von 1787/88, die Französische Revolution und die Revolutionen des Jahres 1848) immer wieder die Staatsgewalt heraus und banden sie schließlich an Prinzipien, die kurz zuvor unvorstellbar gewesen waren: an Grundrechte, an die Gewaltenteilung und an Legitimation durch demokratische Mitwirkung statt Gottesgnadentum.

    Mit diesem kurzen Abriß wollen wir keinen Nachhilfeunterricht in Geschichte geben, sondern daran erinnern, daß unsere Grundrechte, die heute gemeinhin als eine Selbstverständlichkeit gelten, einen jahrhundertelangen Weg hinter sich haben. Vergangene Generationen haben für eine bessere Zukunft gekämpft. Wir sind diese bessere Zukunft und stehen in der Verantwortung, uns an die Ursprünge unserer Privilegien zu erinnern, um sich ihrer würdig zu erweisen. Daß dies in der heutigen Zeit bisweilen schlecht gelingt, zeigt sich in erschreckender Deutlichkeit am Beispiel des Schutzes vor willkürlicher Verhaftung. Dieses Grundrecht hat eine besonders eindrucksvolle Genese.
    Als im England des 13. Jahrhunderts wieder einmal der Adel gegen die Krone rebellierte, ging es wie so oft um Geld. Im Kampf gegen überhöhte Abgaben trotzten die Adligen dem englischen
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