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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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Überzeugung zu brechen, wir müßten auch bei uns englische oder amerikanische Überwachungsstandards erreichen, um nicht hinter den Trend zurückzufallen. Im Gegenteil gilt es, sich davon zu distanzieren. Ein Wettrüsten beim Thema Sicherheit erzeugt eine fatale Dynamik, die sich von den eigentlichen Problemen immer weiter entfernt – ein freiheitsvernichtender Teufelskreis.
    Längst hat der Kontrollwahn den Bereich der Terrorismusbekämpfung verlassen und auch das Gesundheitswe-sen, das Steuersystem, die Arbeitnehmerverhältnisse, das Konsumverhalten und sogar das Alltagsleben auf der Straße erfaßt. In Großbritannien benutzen lokale Behörden Anti-Terror-Gesetze (nämlich den »Regulation of Investigatory Powers Act 2000«, RIPA), um Bürger auszuspionieren, die möglicherweise Müll auf die Straße werfen, Hundehaufen nicht vorschriftsmäßig entsorgen oder illegal Pizza verkaufen. Kinder werden beim Fußballspielen von staatlichen Kameras gefilmt, weil ihr Geschrei die Nachbarn belästigen könnte. Eltern werden ausgespäht, um herauszufinden, ob sie ihre Kinder an einer Schule außerhalb des zugewiesenen Bezirkes anmelden. In der ersten Jahreshälfte 2008 wurden 867 Terror-Ermittlungsverfahren gegen Alltagssünder eingeleitet. Im Handumdrehen wird die »Terrorismusbekämpfung« zum scharfen Schwert in den Händen eines Recht-und-Ordnung-Spießertums, so als sei die beste Gesellschaftsform in einem Erziehungslager verwirklicht. Man sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel ernst nehmen, wenn sie auch für Deutschland »null Toleranz« in puncto innere Sicherheit verlangt und diese »innere Sicherheit« schon durch weggeschmissenen Unrat, falsch parkende Autos und Anrempeln im Straßenverkehr bedroht sieht. Der Kampf gegen den Terrorismus neigt dazu, in einen Kampf gegen »sozialschädliches Verhalten« überzugehen. Spätestens dann lauert in jedem Bürger ein kleiner Terrorist, und die freie Gesellschaft geht dem Untergang entgegen.

    Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Für die Zukunft bestehen jetzt schon vielfältige Bestrebungen der europäischen Staaten, den Bürgern weiter auf den Pelz zu rücken. Die Bundeswehr soll im Inneren eingesetzt werden, was zu einer endgültigen Vermischung von Gefahrenabwehr und Kriegsrecht führen wird. Unsere Bewegungen im Straßenverkehr sollen mit Hilfe der Mautanlagen überwacht werden. Die EU möchte für einen Zeitraum von dreizehn Jahren Informationen darüber speichern, welche Flugzeuge wir besteigen und wohin wir fliegen. Ab dem Jahr 2011 wird die neue Steueridentifikationsnummer die Lohnsteuerkarte ersetzen, so daß für jeden einzelnen Bürger Daten zu Steuerklasse und Freibeträgen, zur Religionszugehörigkeit sowie zu Ehepartner und Kindern zentral erfaßt werden können. So entsteht eine gigantische Datenbank über das Arbeitsleben eines jeden Arbeitnehmers. Zudem werden die bislang dezentral geführten Datenbestände der 82 Millionen in Deutschland gemeldeten Personen aus 5300 Meldeämtern in einer Datei zusammengeführt. Das ist der Beginn eines historisch einzigartigen Bevölkerungsregisters und eines gewaltigen nationalen Datenpools.
    Mit dem Vertrag von Lissabon, der früher oder später in Kraft treten wird, kommt auch eine neue Qualität von EU-Sicherheitsvorschriften auf uns zu: Der neue EU-Vertrag wird das Ressort »Polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen« zu einer echten Kompetenz der Europäischen Union erheben. Schon jetzt wurden Maßnahmen wie der ePaß und die Vorratsdatenspeicherung in Brüssel beschlossen. Wenn die neue Kompetenz Gültigkeit erlangt, gilt definitiv: More to come . Oder, wie der damalige EU-Ratsvorsitzende Rui Pereira das Motto der Brüsseler Sicherheitspolitik formulierte: »Wir brauchen ständig neue Maßnahmen.« In welche Richtung die Fortentwicklung der europäischen Sicherheit gehen soll, ist deutlich absehbar: Die von Wolfgang Schäuble mitgegründete »Future Group« der EU-Innenminister rät dringend, ein »gesamtheitliches Konzept« zu entwickeln. Hinter diesem Euphemismus verbirgt sich die Ideologie der Homeland Security, also ein Verwischen der Grenzen zwischen Polizei, Militär, Zivilschutz, Sicherheitsindustrie und anderen Akteuren, was mittelfristig zu einer Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit führen soll. Der autoritäre Staat würde nicht lange auf sich warten lassen.
    Vielleicht gibt es dann auch ein Wiedersehen mit dem Nacktscanner. Wer vorher schon einen
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