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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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politische Ideologie besitzt die Macht, den zeitgenössischen Menschen »auf Linie« zu halten. Individualismus, persönliche Freiheit, die sukzessive Abschaffung von Denk- und Handlungszwängen führen zur Unschärfe. Die Menschen und ihre Lebensentwürfe sind schwer einschätzbar geworden. Die Kommunikationstechnologie überwindet letzte geographische und soziale Barrieren. Das (fast) kostenlose Internet steht jedem offen, der sich die notwendige Zugangstechnik leisten kann, und das können dank sinkender Preise weltweit immer mehr Menschen.
    Entgrenzung bedeutet Freiheit für den Einzelnen und Kontrollverlust für die Machthaber, ganz gleich, ob es sich um autoritäre Regime oder demokratisch legitimierte Regierungen handelt. Dieser Kontrollverlust wird im Denken und in der Rhetorik der politischen Eliten als »Sicherheitsproblem« identifiziert. Und wenn der Einzelne den Zuwachs an Freiheit als unangenehm empfinden soll, spricht man von »Problemen mit der Identität«. Neben »Sicherheit« ist »Identität« das Lieblingswort unserer Zeit; es wird genauso inhaltsleer und manipulativ verwendet.
    Kontrollverlust erzeugt Angst. Das geht nicht nur einzelnen Menschen so, sondern auch ganzen Staaten. Deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang darin, daß sich die »Terrorismusbekämpfung« immer wieder am Stichwort des »Netzwerkes« entzündet. Während Privatpersonen mit Begeisterung betonen, daß sie beruflich und privat »gut vernetzt« seien oder aber noch ein bißchen intensiver »networken« müßten, wohnt fast allen Äußerungen von Sicherheitspolitikern ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber »Netzwerken« inne. Nach Kirche, Familie, Nationalstaat und politischer Ideologie wird das »Netzwerk« als neue soziale Organisationsform betrachtet. Im Vergleich zu den erstgenannten Formen funktionieren Netzwerke aber weniger hierarchisch und eher selbstregulativ. Sie sind offener, dynamischer und deshalb vermeintlich unzuverlässiger. Aus staatlicher Sicht ist es dementsprechend ungeheuer wichtig, wie sich solche Netzwerke kontrollieren lassen.
    Die Dämonisierung des Netzwerkes ist Voraussetzung für staatlichen Zugriff. Schon vor dem 11. September 2001, nämlich Anfang 2001 veröffentlichte die RAND Corporation, ein für die US-Regierung tätiger Think-Tank, eine Untersuchung mit dem Titel »Networks and Netwars«,in dem argumentiert wird, daß Netzwerke die größten Feinde von Frieden und Sicherheit seien (Freiheit kommt in solchen Studien nicht vor). Damit waren nicht nur Terroristen, sondern auch NGOs, Protestgruppen, soziale Bewegungen und Raubkopierer gemeint.
    Auch die NATO hat nach Ende des Kalten Krieges ihr traditionelles Feindbild (kommunistisches Rußland) flugs auf amorphe (also »netzwerkartige«) Gegner umgestellt, um ihrer eigenen Auflösung zuvorzukommen. Die ursprünglich als Verteidigungsbündnis gegründete Organisation (gemeint war die Verteidigung gegen kriegerische Angriffe von feindlichen Staaten) rief nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages aus, obwohl die Attentate offensichtlich nicht von einem Staat begangen worden waren. Im neuesten Strategiepapier von 2008 mit dem grandiosen Titel »Towards a Grand Strategy for an Uncertain World« begründen fünf ehemalige NATO-Generäle (darunter der deutsche General a.D. Klaus Naumann) die Existenzberechtigung der NATO mit den gewohnt diffusen Bedrohungen:
    »Die wichtigste Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, auf das vorbereitet zu sein, was sich nicht vorhersagen läßt. […] Den westlichen Alliierten steht eine lange andauernde und präventiv zu führende Verteidigung ihrer Gesellschaften und ihres Lebensstils bevor.«
    Nach diesem Konzept sind die Gegner der »präventiv (sic!) zu führenden Verteidigung« natürlich terroristische Netzwerke. Aber nicht nur. Gemeint sind auch Einwanderer, Flüchtlinge, ölfördernde Eliten sowie »wütende hungrige Männer«, die sich nicht mehr im Griff haben und aufständisch werden (so die NATO-Homepage). Ähnlich wie im innerstaatlichen Bereich scheint auch der (echte oder gefühlte) Kontrollverlust im Bereich der Geopolitik nach radikalen Mitteln zu verlangen, die alle demokratischen, friedlichen und freiheitlichen Überzeugungen hinter sich lassen: Ein Instrument gegen solche »Gegner« sei nach dem NATO-Papier der nukleare Erstschlag (aktueller Euphemismus: »asymmetrische Antwort«). Dieser sei notwendig, um »tatsächlich
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