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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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sich aber nicht an die eigene Nase, wenn in unserer Hemisphäre gefordert wird, bestimmte »gefährliche Wörter« im Internet zu sperren oder gleich eine allumfassende Überwachung des Internets einzuführen; wenn Öko-Aktivisten als Terroristen eingestuft und Globalisierungsgegner in Terror-Datenbanken gelistet werden.

    Grundsätzlich gilt: Die neue Währung des Kommunikationszeitalters heißt »Information«. Wissen bedeutet Kontrolle, Kontrolle bedeutet Macht. In der Datensammler-Sprache liest sich das so: Die statistisch erstellte »Prognose menschlichen Verhaltens dient der individuellen Handlungssteuerung«. In die normale Sprache zurückübersetzt: Wenn man alles über einen Menschen weiß, kann man sein Verhalten vorhersagen und steuern.
    Dieser Zusammenhang interessiert naturgemäß nicht nur den Staat, der seine Einflußmöglichkeiten ausbauen will, sondern auch die Wirtschaft, die Kapital aus der neuen Ressource »Information« schlägt. Gegenwärtig erleben wir einen wahrhaften Goldrausch der Datensammler, nur daß der Klondike von heute mitten durch unsere Privatsphäre fließt. Krankenkassen wünschen sich Patientenprofile zur Erstellung risikospezifischer Beitragssätze – und verschweigen wohlweislich, daß das Prinzip »Versicherung« gerade auf der Unkenntnis der individuellen Zukunft basiert. Auskunfteien bilden per »Scoring« Verbraucherprofile, die an Kreditinstitute, Mobilfunkanbieter oder Zahnärzte weitergegeben werden – so kann ein Wohnsitz in einem verruchten Stadtteil schon einmal dazu führen, daß man keinen Telephonanschluß oder seinen Zahnersatz nur auf Vorkasse bekommt. Supermarktketten erschaffen mit Hilfe von Paybackkarten (und bald durch an jedem Produkt angebrachte RFID-Chips) genaue Kundenprofile, um demnächst an der Kasse fragen zu können, ob der Kaffee vom letzten Mal nicht geschmeckt oder die Tampons der Größe normal nicht gepaßt haben. Dieses Wissen wird erkauft mit lächerlichen Rabatten, die dem Kunden angeblich für seine Treue zugestanden werden – in Wirklichkeit ist der moderne Konsument als »Datenträger« ein permanent gemolkener Goldesel. Sogar der Staat verkauft die Datensätze seiner Bürger – allein Name und Adresse sind 5,50 Euro wert. Wenn Privatfirmen Datensätze anbieten, beispielsweise über Personen, die sich für private Krankenversicherungen interessieren, kann ein »qualifiziert terminierter Lead« auch mal 269 Euro kosten. Kaum jemand, der im Internet oder an der Supermarktkasse schnell mal einen Fragebogen ausfüllt (»Wir wollen die Zufriedenheit unserer Kunden überprüfen«), ist sich bewußt, daß er gerade einen Haufen Geld verschenkt.
    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die meisten Menschen in der westlichen Welt nicht nur materiell hervorragend versorgt, sondern auch umgeben von einer Technologie, die den Alltag in bislang ungeahnter Weise vereinfacht. So nützlich ist diese Technologie und so erotisch ihre Erscheinungsform, daß sich die Menschen ihr überlassen und manchmal geradezu in ihr aufgehen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Informationstechnik ist im Grunde gesund. Die Technologie ermöglicht uns eine neue, zugleich spannende und bequeme Lebensform. Indem wir allerdings Computer und Handys mit Daten füttern, machen wir uns nackt. Der »gläserne Bürger« entsteht nicht aufgrund eines öffentlichen Röntgenapparates, sondern zuallererst durch unser eigenes Verhalten. Ohne uns der Risiken bewußt zu sein, erschaffen wir Doppelgänger aus Bits und Bytes, Schattenwesen, die uns irgendwann über die Köpfe wachsen können. Und dafür muß man nicht einmal ein Internetprofil mit höchstpersönlichen Informationen füttern, was viele Menschen heute zum Zeitvertreib (z. B. bei Facebook oder Studi-VZ ) oder zum geschäftlichen »Networken« (z. B. bei Xing ) machen.
    In der Wunderwelt neuer Spielzeuge, die im Monatstakt auf den Markt gebracht werden, fehlt noch immer ein klares Bewußtsein für »mein« und »dein«. Bei einem Gegenstand, zum Beispiel einem Haus oder Auto oder Kleidungsstück, haben wir ein starkes Gefühl für Eigentum und Besitz. Instinktiv wissen wir, was es bedeutet, wenn uns etwas »gehört«, und wir reagieren mit Widerstand auf den Versuch, es uns wegzunehmen. Bei Daten, die man nicht sehen kann und deren Wert für viele Menschen mangels Erfahrung schwer einzuschätzen ist, funktioniert dieser Instinkt noch nicht. Kommt es zu einer Verwertung dieser Daten, egal ob durch Staat oder
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