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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode
Autoren: Barbara Vinken
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ist. Was ist dieser Twist?
    Die Anleihen bei den Männern zeichnen sich durchgehend durch das aus, was der moderne, republikanisch geprägte Bürger als »Geistesmensch« sublimieren musste: Sie sind ausnahmslos phallisch konnotiert. Das heißt nicht, dass sie konkret auf das männliche Geschlecht verweisen. Vielmehrübernehmen sie aus der Männermode, was vor der Revolution in der Frauenmode verpönt war: das ganz schamlose Zeigen nämlich, die Ostentation. 5 Besonders die Mode der körperlich aggressiven Männer, der Soldaten etc., war spektakulärer als die Frauenmode. Sie zeigten und schmückten die vor Kraft strotzenden Körperteile, die beim Verletzen nützlich waren. Extravagante Kleidung, die ins Auge sticht, war Zeichen von Macht und Privileg. Es ging darum, im wahrsten Sinne des Wortes zu imponieren. Die weibliche Mode war dagegen von der Logik des Geheimnisses geprägt: verhüllen und verschleiern, nicht zeigen, sondern erahnen lassen. Im Gegensatz zur Männermode, die zeigt, dass sie zeigt, musste die Frauenmode dieses Zeigen paradox verhüllen. Schamhaftigkeit war das Prinzip der weiblichen Mode.
    Das phallische Moment der Frauenmode der Moderne liegt zum einen quasi thematisch bei diesen Anleihen in der Mode der waffentragenden Männer, die klassisch ihre Körper paradieren ließen und ungehemmt zeigten, was sie hatten – und oft mehr, als sie hatten. Sie ließen ihre Körper in ihren Kleidern, over-sexed und over-dressed, unmissverständlich sprechen. Hier geht es grundsätzlich um ein Mehr, ja, um ein Zuviel. 6 Das moderne Supermännliche, das Männlichkeit zur Maskerade macht, entlehnt wie Superman dieses Zuviel aus der antiken, barbarisch konnotierten Krieger- oder Gladiatorenmode. Die homoerotischen Edwardian Dandys und ihre Nachfahren haben dieses Moment, das im Zeichen des Superweiblichen, ja Weibischen stand, fetischisiert. Ludwig II . war ihr aristokratischer Vorläufer. Ihnen war nichts wichtiger, als in weißen Handschuhen formvollendet zu sterben. Mit Boris Vian hätten sie auf einem Leichenhemd von Dior bestehen können. Ihre volle Aufmerksamkeit galt dem tadellosen Schnitt der engsitzenden, taillierten Uniform, glänzenden Messingbeschlägen, diszipliniert polierten Lederstiefeln. Unbeschreiblich Weibliches und Hypermännliches fließen zusammen, Eros erscheint dekadent vom Tod umflort. Hermann Göring hatte nicht nur lackierteFingernägel; auch seine Fußnägel waren lackiert. Den homoerotischen Sex-Appeal des »kleinen Schwarzen« der Herrenmenschen – der vom Vorläufer von Boss geschneiderten SS -Uniformen – konstatierte schon Ernst Kantorowicz. 7 Deren Paradieren erinnerte ihn an Chorus Girls. Viscontis Film Die Verdammten bringt diesen weibisch-hypermännlichen Sex-Appeal auf den Punkt.
    Die neuen Beine der Frauen, die Jeans, die Cowboy- und Springerstiefel, die Absätze, die Begeisterung für Camouflage und der aus der weiblichen Garderobe nicht mehr wegzudenkende Trenchcoat, der seinen kriegerischen Ursprung aus den Gräben des Ersten Weltkriegs im Namen trägt, zeugen von solchen martialischen Anleihen. 8 Entscheidender ist aber vielleicht nicht das Was, sondern das Wie. In der Moderne geht es in der weiblichen Mode immer wieder neu darum, alle »Gehemmtheit« und »Verklemmtheit«, manche sagen auch, alle Scham fahrenzulassen und den Körper so zur Schau zu stellen, wie das vor dem großen Bruch nur die Männer und vorzugsweise die waffentragenden Männer taten.
    Auch in dieser Hinsicht war Coco Chanel wegweisend, die Haltung anmahnte. Wichtiger als das Gesicht, so Chanels Credo, ist der Körper und dessen Erscheinung. Der weibliche Körper sollte die gleiche aktive Schmiegsamkeit und Beweglichkeit, die gleiche Geländegängigkeit in jedem Wind und Wetter haben, wie sie der einsatzbereite, männliche Körper hatte. Er sollte gebräunt – und nicht mehr hellhäutig weiß behütet –, leicht trainiert, selbstbeherrscht sein und alle passive Fleischlichkeit hinter sich lassen. Entscheidend für die moderne weibliche Silhouette wird damit Disziplin: Diät und Sport. Und eine anscheinend nüchtern funktionale Kleidung, die tatsächlich die – männlich konnotierte – Fähigkeit eines weiblichen Körpers unübersehbar ausstellt. Während der Mann seine spezifische Geschlechtlichkeit mit der Moderne im Menschlichen aufheben kann und muss, um zivil zu werden, heißt Frau sein in der Moderne, einen durch männliche Eigenschaften befähigtenKörper in Kleidern, die in den
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