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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode
Autoren: Barbara Vinken
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Hintergrund treten, zu inszenieren. Einen »natürlichen« Körper, der sich nicht schamhaft verbirgt oder einfach lockend zur Schau stellt, sondern seine Fähigkeiten herrlich inszeniert.
    Die andere Möglichkeit liegt darin, Weiblichkeit nicht als natürlich-passives Fleisch, sondern exzessiv künstlich zu inszenieren. Inbegriff des Schamlosen ist nicht nur das Mannweib, sondern auch die Kokotte, die ihre weiblichen Reize übertreibt und deren Wirkung selbstbewusst kontrolliert. Schon Jean-Jacques Rousseau schrieb dem Pariser Modetypus des 18. Jahrhunderts sowohl das Hurenhafte als auch das Soldatische zu; beides war für ihn unweiblich. Beides steht im Zeichen des Phallischen. In der heutigen Mode werden diese beiden Momente gemischt. Dissonanzen eignen sich besonders, um aufzufallen, weil man durch einen solchen »Hingucker« den Erwartungshorizont der Gender-Stereotypisierung unpassend durchbricht: kurzer Glockenrock mit martialischen Ankle-Boots oder ein gerüschtes Kleid, das mit einem supermännlichen Militärreißverschluss dem Körper eng angeschmiegt wird. Frauen fügen sich durch die Kleider gerade nicht in Reih und Glied ein, sondern ragen heraus. Selbst wenn frau auf die Kleider, die sie trägt, scheinbar keinen Gedanken verschwendet, muss diese Nachlässigkeit auffallen. Auch ein Understatement will unterstrichen sein. Erst durch dieses Mehr ihrer Kleider werden die Frauen im Zeichen des Phallischen unwiderstehlich weiblich.
Unisex? Paradox, höchst paradox!
    Sehen wir uns eine andere Szene an: eine große Abendgesellschaft zur Eröffnung der frisch renovierten Villa Favard in Florenz. Das Stadtpalais wurde von einer Lebedame 1851 errichtet und von Ferruccio Ferragamo 2010 als Sitz der Modeschule Polimoda aufwendig restauriert. Am schönsten wäre es für die Florentiner, wenn aus dieser Pracht heraus der Glanz der Florentiner Mode wieder die Mailänder Mode überstrahlen würde. Ganz Florenz ist da. Die Kleiderordnung könnte nicht traditioneller sein. Die Herren als idealer, mattdunkler Hintergrund in schwarzem Smoking, Lackschuhen und weißen Hemden. Davon effektvoll abgehoben die Frauen in bunt farbigen Cocktailkleidern oder Abendroben, mit Kristallen und Pailletten besetzt. Gegen die Uniformität der männlichen Anzüge steht eine extreme Farb- und Schnittvielfalt der Kleider: kurz und lang, bunt oder schwarz, eng oder üppig gerüscht etc. Dekolletés, Rücken, Beinschlitze: Haut und Stoff als die erotisierende Opposition, die es bei den Männern nicht gibt. Federn, Schmuck, komplizierte Frisuren.
    Mme Ferragamo, groß und schlank, mit offenen, glänzend dunklen Haaren, überragt ihren Mann, dessen Kleidung man nicht einmal bemerkt, in einem den Körper weich umspielenden, die Silhouette raffiniert modellierenden, bis zu den Fesseln gehenden Leopardenprint aus eigenem Haus, blauschwarz verfremdet. Sie ist nicht da, um zu reden, sondern um angeblickt und ob ihrer klassischen Schönheit verehrt zu werden. Wie auf einem Piedestal entrückt schwebt sie über den Sterblichen. Die Direktorin der Akademie, Hauptperson des Abends, hält eine Rede. Obwohl sie sprechen kann, hat sie sich nicht als Mann angezogen. Sie trägt keinen Smoking, sondern ein Abendkleid aus sehr festem, schwarzem Baumwollleinenstoff, ohne Schmuck, mit grande allure. Yamamoto, aber das erkenntman nicht sofort. Die kurzen, schwarzen Haare sind nach oben gebürstet. Das Oberteil des Kleides ist wie eine Männerweste geschnitten, die Arme nackt, der Rock mit tiefen Taschen wirkt wie eine weite Arbeiterhose. Obwohl Madame sich also in die Kleiderordnung fügt, ein Abendkleid trägt und die Opposition nackte Haut/Stoff erhalten bleibt, sieht sie durch Anleihen bei der männlichen Arbeiterkleidung nicht wie ein Schmuckstück aus, das einem »Journal der Moden und des Luxus« entsprungen ist, sondern wie eine einflussreiche Frau, die zupacken kann. Sie ist kein hergerichtetes Vorzeigeobjekt, sondern zeigt, dass sie selbstbestimmt handelt. Die nackten Arme haben etwas vom Sex-Appeal gut modellierter Arbeiterarme. Sie wirkt anziehend, weil sie die Kleidercodes so witzig durchbricht. Das ewige Problem der Moderne, Weiblichkeit und Kompetenz zu vereinbaren, ist in diesem paradoxen Abendkleid ausgesprochen gelungen, das alle Codes durchkreuzt und sie trotzdem respektiert.
    Aber, wird man entgegenhalten, das sind alles alte Hüte. Seit Jahrzehnten gleicht sich die Kleidung von Männern und Frauen an. Think Unisex! Think Metrosexuals! Alle,
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