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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode
Autoren: Barbara Vinken
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Männer wie Frauen, tragen heute Jeans, T-Shirt oder Hemd und Pullover – alternativ Businesskostüm. Beide Geschlechter verwenden die gleiche Aufmerksamkeit auf ihre Kleidung. Für beide ist das »gepflegte Auftreten« gleich wichtig. Kleider trennen die Geschlechter nicht mehr, sie vereinen sie in einer androgynen Silhouette. Die Mode trennt weder die Klassen noch die Geschlechter; endlich hat sie alle Menschen zu Brüdern gemacht. Selbst die Musen sind mit Baptiste Giabiconi männlich geworden. Das Süddeutsche Magazin läutet nach dem Höhepunkt der androgynen Mode in den Achtzigern jetzt die »vollends geschlechtslose« Mode mit Andrej Pejic, einem weiblichen Modell mit einem männlichen Geschlecht, ein. Casey Legler, eine biologische Frau, modelt exklusiv für Männermarken. Lea T ist transgender und Saskia De Brauw zeigt mit androgynem Charme Frauen- und Männerkollektionen.
    All das dient nun gerade nicht dazu, die Geschlechterdifferenz in irgendeiner »Geschlechtslosigkeit« zu löschen oder in einem »dritten Geschlecht« aufzuheben. Ganz im Gegenteil ergibt sich die schlagende Erotik dieser Figuren daraus, dass in ihnen Gender-Normen dissonant aufeinanderprallen. Eine Potenzierung von Erotik wird durch das Sprengen konventioneller Gender-Vorstellungen bewirkt. Nichts könnte das Theorem der »geschlechtslosen Mode«, in der wir alle zu transsexuellen Menschen würden, schöner widerlegen, als das, was Pejic prompt zum Besten gibt: Er/Sie nämlich sei als Frau »eher sinnlich und sexy, und als Mann eher – schlicht«. 9 Schöner hätte man den Unterschied zwischen Mann und Frau, den die Mode macht, nicht auf den Punkt bringen können. Dabei geht es nicht um die Repräsentation eines »tatsächlichen«, des »natürlichen« Geschlechts, sondern um doing gender , an dem nicht viel Natürliches ist. Nicht Geschlechterindifferenz, sondern eine erotische Steigerung durch dissonantes Gegeneinanderführen von Gender-Stereotypen wird durch diese Figuren erreicht.
    Die These des Unisex verdankt ihren unwiderstehlichen Appeal der Unschärfe. Der Wunsch und nicht die Realität entpuppt sich als Vater des Gedankens. Dieser Wunsch geht auf die Gleichheit der Geschlechter durch ein Auslöschen der geschlechtlichen Differenz: Es macht keinen Unterschied, ob man Mann oder Frau ist. Alle ziehen sich gleich an. Selbst dem oberflächlichsten Beobachter muss ins Auge springen, dass der vielbeschworene Unisex nur von der Männer- zur Frauenmode geht. Offensichtlich eine Einbahnstraße. Bis heute kann sie abends seinen Schlafanzug und morgens sein Hemd und seinen Pullover anziehen; er würde hingegen in ihrem Seidenhemd für die Nacht, ihren UGGs, ihrem viel zu engen T-Shirt und ihren Pullovern komisch aussehen.
    Wenn sich Frauen wie Männer anziehen, ziehen sich dann beide gleich an? Oder ist es etwas anderes, ob ein Mann oder eine Frau eine Hose, einen Businessanzug trägt? Bevor wir uns der Hypothese des Unisex anschließen, die ja nur heißenwürde, dass Frauen sich endlich wie Männer anziehen, überlegen wir lieber, ob Männer die neuen Frauen sind. Oder genauer: ob einige Männer das nicht seit dem großen Umbruch schon immer waren. Und wie die die Mode konstituierenden Oppositionen entlang der Trias von Geschlecht, Rasse und Klasse verlaufen. Am Grunde der schlicht unhaltbaren These vom Unisex scheint mir eine Verleugnung der sogenannten »erotischen Probleme« der Kleidung 10 zu liegen. Und des Anachronismus, der die Mode zum Anderen der Moderne macht. Die These vom Unisex verkennt das Phänomen Mode. Sie leugnet, worum es in der Mode geht.
Eingekleidet: Korporationen
    Die Geschichte der Mode, in deren Erzählverlauf sich die neueren Modemythen zu so widersprüchlichen Wunsch- und Abwehrvorstellungen wie der vom Unisex verdichten, möchte ich anders erzählen. Treten wir einen Schritt zurück. Unsere Mode, die Mode der Moderne, entsteht um die Französische Revolution herum. Natürlich kommt es zu solchen grundlegenden Umbrüchen nicht auf einen Schlag; sie entwickeln sich vielmehr in einem langsamen Prozess und nehmen Jahrzehnte in Anspruch. Man hat deswegen auch vom langen 18. Jahrhundert gesprochen. Die Mode der Moderne ist das Resultat des Zusammenbruchs einer kosmischen Ordnung. Die schöne und gottgewollte Ordnung, der kósmos, zeigt sich in der Hierarchie der Stände, deren höchster Schmuck Aristokratie und Klerus sind. Der Körper ist mehr als ein individueller Körper, dessen Fleisch todesverfallen, dessen
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