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Angélique - In den Gassen von Paris

Angélique - In den Gassen von Paris

Titel: Angélique - In den Gassen von Paris
Autoren: A Golon
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Kopf, bei denen sie sich zu verweilen weigerte. Bilder, die mit ihrem zerstörten Leben zu tun hatten, die sie aber kaum wahrgenommen hatte und nicht in ihre Erinnerung einordnen konnte. Sie warfen zum Beispiel eine Frage auf, die sie sich stellte, ohne ihr deswegen allerdings besondere Bedeutung beizumessen: Wie war es möglich gewesen, dass Carmencita, die verrückte Nonne, ihren Bewacherinnen entkommen war, um in einer verschneiten Nacht am Fuß der Treppe des Justizpalasts ihre Reue herauszuschreien?
     
    Angélique hatte Maître Ludovicus von diesen Gedanken berichtet.
    Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Auswirkungen des Fluchs, den die Ägypterin über ihre Familie geworfen hatte, nachließen. Er hatte ihr offen erklärt, das sei eine schwierige Aufgabe, die er nicht gern angehe. Sie versuchte, nicht allzu viel daran zu denken, und hoffte nur, dass er nicht aufgeben und sie nicht im Stich lassen würde. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, und wünschte sich, er werde sich über seine Ungeduld und seine Zweifel hinwegsetzen und sich ihrer annehmen.
    Auch versuchte sie zu verstehen, warum ihr die Vergangenheit auf diese Weise wiederbegegnet war, als sei es notwendig – und war es das nicht für jedermann? –, stets wachsam zu bleiben und sich für solche Rückbesinnungen bereitzuhalten, die man annehmen musste, ohne darüber den Verstand zu verlieren. Sie hatte recht daran getan, zu dem Alten zu gehen.
    Jetzt fühlte sie sich erleichtert, gestärkt.

    Das Ereignis, das sich ankündigte, traf sie also gewappnet an und sorgte dafür, dass sie ihre Befürchtungen und ihre Angst vor der Vergangenheit hinter sich ließ.

Kapitel 23
    I n der herbstlichen Abenddämmerung spazierte Angélique über den Pont-Neuf. Sie hatte dort Blumen gekauft und nutzte die Gelegenheit, um zwischen den Ständen umherzuschlendern.
    Vor der Bühne des Großen Matthieu blieb sie stehen und erschauderte.
    Der Große Matthieu war im Begriff, einem Mann, der vor ihm kniete, einen Zahn zu ziehen. Die Zange des Operateurs hielt den Mund des Patienten weit geöffnet. Aber Angélique erkannte dennoch das blonde, borstige Haar, das wie Maisstroh aussah, und den schwarzen, abgetragenen Mantel. Das war der Mann vom Heukahn.
    Mit den Ellbogen schob sie sich durch die Zuschauer und stellte sich in die erste Reihe.
    Es war ziemlich kalt, aber dem Großen Matthieu standen trotzdem dicke Schweißtropfen auf der Stirn.
    »Potzblitz, wie mein Nachbar von gegenüber, der gute König Heinrich, gesagt hätte, der sitzt aber fest! Lieber Gott, ist der widerspenstig!«
     
    Er unterbrach sein Werk, um sich die Stirn abzutupfen, und zog sein Folterinstrument aus dem Mund seines Opfers.
    »Tut’s weh?«, fragte er.
    Der Mann wandte sich lächelnd zum Publikum um und schüttelte den Kopf. Kein Zweifel, das war er, mit seinem
blassen Gesicht, dem breiten Mund und seinen Grimassen, die ihn wie einen erstaunten Harlekin aussehen ließen.
    »Seht, Mesdames und Messieur!«, rief der Große Matthieu. »Ist das nicht ein Wunder? Dieser Mann leidet keine Schmerzen, und dabei hat er harte Zähne, das könnt Ihr mir glauben! Und warum hat er keine Schmerzen? Dank dieses Wunderbalsams, mit dem ich ihm vor der Operation das Zahnfleisch eingerieben habe. In diesem kleinen Fläschchen, Mesdames und Messieurs, steckt das Ende aller Schmerzen. Bei mir spürt man dank meines Wunderbalsams keine Schmerzen, und ich ziehe Euch die Zähne, ohne dass Ihr etwas davon bemerkt. Komm, mein Freund, machen wir uns wieder an die Arbeit.«
    Bereitwillig öffnete der Mann den Mund. Unter Flüchen und lautem Schnaufen machte sich der Scharlatan erneut über den widerspenstigen Zahn her.
    Schließlich schwenkte der Große Matthieu triumphierend seine Zange, in der er den störrischen Backenzahn hielt.
     
    »Da, erledigt? Hat es wehgetan, mein Freund?«
    Immer noch lächelnd stand der Patient auf und schüttelte den Kopf.
    »Muss ich noch etwas sagen? Ihr habt gesehen, was ich mit diesem Mann getan habe, und nun geht er munter und gut gelaunt davon. Dank des Wunderbalsams, den ich als Einziger unter den empirischen Ärzten anwende, wird niemand mehr zögern, sich der stinkenden Stummel zu entledigen, die dem Mund eines ehrlichen Christen Schande machen. Man wird lächelnd zum Zahnbrecher gehen. Zögert nicht, Mesdames und Messieurs. Kommt! Der Schmerz existiert nicht mehr! Der Schmerz ist tot.«

     
    Unterdessen setzte der Patient bereits seinen spitzen Hut auf und stieg von
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