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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition)
Autoren: David Barnett
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auf der Erde. Doch sag mir, wie viele Unschuldige hast du gefunden?«
    Uriel steht auf dem Balkon und überlegt. Am Haus in der Ferne sieht er Gestalten herumschwirren. Gestalten wie er selbst. Nein, nicht wie er selbst. Nicht mehr.
    »Keine Unschuldigen«, erwidert er schließlich. »Niemanden, den wir hier in der Stadt unschuldig nennen würden.«
    »Da sieh nur«, sagt Metatron zufrieden. »Unsere Strafe war der Mühe wert. Jetzt ruh dich aus, Uriel. Es gibt viel zu tun.«
    Uriels leuchtendes Gesicht wendet sich um. »Nein, Metatron. Vielleicht keine Unschuldigen. Aber viel, viel mehr. Wir erschufen und verließen sie, Metatron. Und doch haben sie uns so viel zu lehren.«
    »Sie haben uns viel zu lehren? Uriel, du bist noch immer verwirrt …«
    »Nein, Metatron. Nicht verwirrt. Nicht mehr. Sie kennen Liebe und Hass und Angst und Wut. Sie lachen und weinen und rufen und flüstern. All die Dinge, die wir niemals kannten, oder vielleicht vergessen haben. Ich würde lieber einen Tag bei ihnen verbringen als eine Ewigkeit hier.«
    Metatron runzelt die Stirn. »Vorsicht, Uriel. Unbedachte Worte können zu einer weiteren Strafe führen.«
    »Dann bestrafe mich!«, brüllt Uriel. »Wirf mich wieder hinaus! Bestrafe mich, so gut du kannst.«
    »Uriel …«
    »Ich habe geliebt …«, flüstert Uriel. »Ich habe Verlust und Betrug erfahren, doch ich habe geliebt. Kannst du dasselbe sagen?«
    »Dieser Ort ist aus Liebe geschaffen, Uriel. Das weißt du doch.«
    Uriel schüttelt den Kopf. »Keine Liebe. Unterwürfigkeit. Sklaverei. Die Angst vor allem, was anders ist. Metatron, wir haben eine Welt der Wunder erschaffen, und doch tun wir so, als existierte sie nicht. Wieso?«
    »Sie haben sich von uns abgewandt«, sagt Metatron skeptisch. »Wir gaben ihnen das Leben und verlangten nur, dass sie uns lieben und uns dienen. Doch sie haben versagt.«
    Uriel sieht Metatron traurig an. »Du verstehst es nicht, oder? Du wirst es niemals verstehen. Schick mich zurück.«
    »Was sagst du?«
    »Schick mich zurück. Zu ihnen. Wann und wo ist mir egal.«
    »Du wirst dich an dein hiesiges Leben nicht mehr erinnern«, sagt Metatron. »Du wirst dein göttliches Erbe vergessen …«
    »Es ist mir egal. Es ist nichts im Vergleich zu dem, was ich erleben werde.«
    »Und du kannst niemals zurückkommen.«
    »Schick mich zurück.«
    Metatron schürzt seine Lippen aus Licht. »Wie du willst, Uriel. Wenn das dein Wunsch ist …«
    »Das ist es, Metatron. Das ist es.«
    »Dann schlaf.«
    Und das Licht erlöscht zum letzten Mal.

Kapitel 20 Neuer Anfang
    Ich erwache in einem Graben. Aller Erinnerungen beraubt. Nackt, ausgeruht und erfrischt. Ich kann das durch die Bäume dringende Sonnenlicht schmecken, kann die Geräusche des neuen Tages riechen und die Schönheit des Vogelgezwitschers sehen.
    Ich kann das Leben berühren.
    Ich kann mich an nichts erinnern, nur an die Namen der Dinge. Die Dinge außerhalb meiner selbst. Aber ich glaube, dass es mehr Dinge gibt, von denen ich Kenntnis habe, als solche, von denen ich nichts weiß.
    Alles in allem.

Nachwort des Autors
    Prag fesselt. Prag fasziniert. Prag bezaubert.
    Darüber hinaus ist es, wie mir scheint, niemals derselbe Ort. Kommst du in die Stadt zurück, kann es passieren, dass eine mit Kopfsteinpflaster bedeckte Straße, von der du dachtest, sie würde dich zur Karlsbrücke führen, eine unvorbereitete Wendung nimmt und dich irgendwo anders wieder ausspuckt. Ein unbekannter Platz, den du, wie du denkst, noch nie zuvor gesehen hast, entpuppt sich plötzlich als der Ort, wo du bei deinem letzten Besuch in einem Restaurant gegessen hast, das du aber eigentlich auf der anderen Seite der Moldau vermutest. Und wenn du versuchst, die kleine Kneipe wiederzufinden, wo du dir bis zum frühen Morgengrauen die Zeit vertrieben hast, kann es geradezu rätselhaft enden … nur wenige Stunden später führen dich deine Schritte zu einer verblichenen alten Holztür oder einem dunklen Laden für Staubsaugerersatzteile oder – noch irritierender – zu einer weißen Steinmauer.
    Aus diesen Gründen wage ich auch nicht zu behaupten, dass dieses Prag, das den Schauplatz für
Angelglass
bildet, etwas anderes ist als ein Prag der Einbildung, ein Prag der Erinnerung, ein Prag in der Schilderung eines unzuverlässigen Erzählers. Die Geschichte soll kein Wegweiser für diese äußerst faszinierende Stadt sein. Gleichwohl wäre es nicht völlig undenkbar, dass du angesichts dieser ungewissen Natur der Stadt vielleicht
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