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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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großen Krise, dass Politik gelingt. Sie haben ein persönliches Interesse daran, weil auch sie sich bedroht fühlen und Angst haben vor Krieg oder Wohlstandsverlust. Sie berichten aber auch eher mit einem Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft insgesamt (einige Journalisten brauchen dafür keine großeKrise, sondern machen das immer so). Das heißt, die Stimmung in der großen Krise ist paradoxerweise nicht so hysterisch, so aufgeladen, sie ist ruhiger, es ist eine Zeit der Vernunft.
     
    Auch die Politiker nehmen in der Zeit der großen Krise Vernunft an. Es ist sowieso nicht die Stunde der zweiten Reihe, der Hinterbänkler, die sonst den permanenten Wahlkampf dominieren, sondern es ist die Stunde des Kabinetts, wo die parteipolitische Sicht ohnehin eine geringere Rolle spielt als draußen. Die kommende Wahl wird nun weitgehend ausgeklammert, der Rückzug in die Zukunft hört auf, eine große Krise ist der Triumph der Gegenwart. Und es ist der Triumph der Politik über die sogenannte Volksmeinung. Die kann sich so schnell gar nicht entfalten oder ausdifferenzieren. Die Politiker schauen jetzt nach den Notwendigkeiten, nicht nach Bündnissen mit dem Volk oder kommenden Wahlergebnissen.
     
    Die Bedingungen für Politik sind in der großen Krise also viel besser als in normalen Zeiten, wenn es vor allem um Reformen geht. Hier sind dann andere Qualitäten gefragt als die zum Durchstehen einer Kanzlerschaft, nicht das Gespür für Stimmungen, nicht die Kraft der Inszenierung, nicht das Geschick im Durchqueren des parteipolitischen Dschungels, nein, es geht eher um schnelles, entschiedenes Management. Allerdings galten diese Bedingungen nur für die ersten Wochen der Krise, für die Zeit des Schocks.
    Deutschland und Angela Merkel haben in ihrer ersten Regierungszeit zwei große Krisen erlebt. Die erste war der Krieg in Georgien, die zweite war die Weltfinanzkrise. Beide Krisen sind in ihren Folgen noch nicht abgeschlossen, deshalb ist noch nicht sicher, wie erfolgreich das Management wirklich war. Ich kann hier nur eine Zwischenwertung geben, wie wirkte das Management auf einen Betrachter, als die Krisen heiß waren und in den Monaten unmittelbar danach.
     
    Angela Merkel hatte vor dem Krieg in Georgien keine hohe Meinung von Staatspräsident Micheil Saakaschwili. Man könnte auch sagen: das Gegenteil. Bei einer Begegnung fand sie ihn pfauenhaft und aufdringlich. Eigentlich mag sie den Charme südeuropäischer Männer im Umgang mit Frauen, zum Beispiel den vom Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso. Aber der ist dabei zurückhaltend, Saakaschwili fand sie plump. Das erzähle ich deshalb, weil in dieser Krise kurzzeitig eine andere Angela Merkel erkennbar wurde als sonst. Es war nicht die abgeklärte, gleichmütige Totalpolitikerin, als die sie sonst erscheint. Plötzlich wurde der menschliche Faktor sichtbar. Das kann ein Zufall sein. Das kann aber auch an der Überrumpelung liegen, die eine große Krise für einen Politiker bedeutet. Es blieb nicht so viel Zeit für Tarnung, für die innere Abklärung. Eines aber spielte gewiss eine Rolle: Ein Krieg spricht das Menschliche an wie nichts anderes. Es ist die Ballung von Leiden und Tod.
    Das Folgende ergibt sich aus der ausführlichen Erzählung eines engen Mitarbeiters von Merkel.
    In der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 lässt Saakaschwili die abtrünnige Provinz Südossetien mit Raketen angreifen. Sie hat sich nach dem Ende der Sowjetunion von Georgien losgesagt und unterhält enge Verbindungen zu Russland. Saakaschwili will Südossetien wieder unter georgische Kontrolle bringen. Seit Jahren gibt es deshalb Geplänkel, Schusswechsel, Provokationen.
    Merkel wird von der Attacke überrascht. Sie ist zornig auf Saakaschwili. Dieser Heißsporn treibt die Welt in einen neuen Ost-West-Konflikt, womöglich einen neuen Kalten Krieg. Die Vereinigten Staaten stellen sich sofort auf die Seite Georgiens, die Russen schicken Panzer und Truppen von Nordossetien durch den Roki-Tunnel nach Süd-Ossetien. Wenn Merkel im Kanzleramt ist, verfolgt sie den Krieg am Fernseher. Sie telefoniert viel mit Nicolas Sarkozy, dem französischen Präsidenten, der gerade die EU-Präsidentschaft innehat. Sie stimmen sich eng ab. Sie telefoniert mit Bush, mit Medwedew. Die georgischen Truppen sind bald aus Südossetien vertrieben, aber die Russen begnügen sich damit nicht. Sie rücken nach, stoßen ins georgische Kernland vor. Es kommt dann zu diesen gespenstisch-bedrohlichen
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