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Andere tun es doch auch (German Edition)

Andere tun es doch auch (German Edition)

Titel: Andere tun es doch auch (German Edition)
Autoren: Matthias Sachau
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Praktikantenbewerbungen. Ich habe mich nur für Jeffrey entschieden, weil er der Einzige war, der beim Vorstellungsgespräch halbwegs vernünftige Schuhe anhatte. Stark abgetragene braune Semibrogues von Loake, bestimmt aus einem Secondhandshop, aber immerhin. »Der Junge braucht dringend Geld für neue Sohlen und Palmenwachs-Schuhcreme. Und für ein zweites Paar in Schwarz«, schoss es mir durch den Kopf. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn einstellen.
    Am nächsten Tisch sitzt Mohamadou, gebürtiger Ghanaer mit deutschem Architektendiplom und einem französischen Akzent, der jede Frau sofort um den Verstand bringt. Und er ist ein Naturtalent. Mohamadou kann selbst den langweiligsten Entwurf in so schöne Zeichnungen umsetzen, dass jedem Bauherrn sofort schwindelig wird. Manchmal reicht es, wenn er während einer Besprechung schnell eine Handskizze anfertigt, um einen verlorenen Auftrag doch noch zu retten. Wenn es um Details geht, neigt er allerdings zu einer gewissen, hm, sagen wir Großherzigkeit. Kein anderer als er war es, der den Plan mit der von Jeffrey vergessenen Toilettentür freigegeben hatte.
    Das wiederum wäre Jochen, dem grundgrimmigen Mann, der Mohamadou gegenübersitzt, nie passiert. Sparsame Haare, kastige Brille, kariertes Hemd und ein stechender Blick, der alles sieht. Eigentlich muss Jochen Pläne nicht einmal anschauen, um Fehler zu entdecken. Er kann sie riechen. An dem Tag, als Mohamadou die Toilette ohne Tür durchgewunken hat, war er gerade auf einer Baustelle. Wäre er im Büro gewesen, wäre er dazugestürzt, hätte seinen Zeigefinger so hart in das Papier gebohrt, dass der Tisch darunter eine Delle gekriegt hätte, und hätte »Was ist das?« geknarzt. Und danach hätte sein Zeigefinger mindestens drei weitere Fehler bloßgelegt, die bis heute noch keiner erkannt hat, die uns aber bestimmt irgendwann um die Ohren fliegen werden.
    Keine Frage, wenn es ans Bauen geht, ist Jochen der Mann, der hier alles zusammenhält. Ich fürchte nur, es geschieht auf Kosten seiner Gesundheit. Je weiter ein Bau voranschreitet, desto grimmiger guckt er drein, desto dunkler werden die Ringe unter seinen Augen und desto knarziger wird seine Stimme. Und je prachtvoller der Bau am Ende aussieht, desto mehr gleicht Jochen einer Ruine. Und je nachdrücklicher man ihm vorschlägt, sich mal freizunehmen, desto trotziger kommt er ins Büro.
    Mohamadou ist da anders: Wenn Hektik und Druck in der Projektendphase eine gewisse Grenze überschritten haben, fängt er einfach an zu lachen. Und hört nicht mehr auf. Der afrikanische Weg der Stressbewältigung. Es ist ansteckend. Alyssa zieht immer als Erste mit, Jeffrey und ich lassen uns auch nicht lange lumpen, und sogar Joan ist manchmal bereit, ihre diversen Kopf-, Glieder-, Fußrücken-, Fingernagel- und Haarspitzenschmerzen zu vergessen. Nur Jochen kriegt Mohamadou nicht zum Lachen. Und solange ich nicht sicher bin, dass Jochen lachend genauso wenige Fehler macht wie beim Grimmig-mit-zusammengekniffenen-Lippen-die-Pläne-Anstarren, ist mir das ehrlich gesagt auch lieber so, auch wenn es gemein klingt.
    »Morgen Moha! Morgen Jochen!«
    »’allo Kai, haha!«
    »Hrmpfjahallo. Hier, schau dir diesen Mist vom Ingenieurbüro Schneckel an.«
    L ARA    »Lass mich mal den Kaffee bezahlen, Lara, schließlich …«
    »Auf keinen Fall! Ich zahle!«
    »Wirklich? Danke.«
    Oh Mann, bin ich blöd. Kerstin ist eine der wenigen wirklich erfolgreichen freien Modejournalistinnen in der Stadt und hätte genug Geld, um das ganze Café einzuladen, und ich muss doch für die Ponyfrisur sparen. Na ja, egal. Ein Glück, dass sie Zeit hatte. Meine Rettung in der Krise heute Morgen.
    »Und du meinst wirklich, ich soll ihn nicht anrufen?«
    Kerstin sieht mich mit ihren strahlend blauen Augen, um die ich sie schon immer beneidet habe, streng an.
    »Auf keinen Fall. Er hat deine Nummer, er muss dich anrufen.«
    Ihre hellblonde Lockenpracht, um die ich sie ebenfalls schon immer beneidet habe, wippt dazu, als wollte sie ihre Worte bekräftigen.
    »Hm.«
    »Wenn ein Mann nicht anruft, steht er einfach nicht auf dich. So sind die heiligen, ewigen Mann-Frau-Regeln. Das weißt du ganz genau.«
    »Und ich will ja auch gar nichts von ihm.«
    »Eben.«
    K AI    »Danke, Jochen, ich rufe gleich bei Schneckel an und kläre das.«
    Natürlich will ich nicht bei Schneckel anrufen, nur hasst Jochen es leider, mit Menschen zu sprechen, deswegen kann man ihn nie direkt darum bitten.
    »Machst du mir
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