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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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willst?«

    »Ja.«
    »Sag Bescheid, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«
    »Mach ich.«
    Sie beobachtete sie, tauchte öfter in ihrem Zimmer auf, ließ Marta aber in Ruhe, was sie ihr später gerne gedankt hätte.
    Am vierten Tag sah Marta während des Mittagessens durch das Fenster im großen Speisesaal Greta auf das Hauptgebäude zugehen. Zwanzig Minuten später klopfte Manu an die Klotür: »Kannst wieder rauskommen, sie ist weg.«
    »Hat sie was gesagt?«
    »Nicht viel, die schien es eilig zu haben. Als ich ihr erzählt habe, du bist für den Rest des Tages mit einer Lehrerin in der Stadt unterwegs, ist sie wortlos wieder abgezogen.«
    »Danke!«
    »War das deine Mutter?«
    »So würde ich sie nicht gerne bezeichnen.«
    »Hast ’ne Menge Probleme am Hals, ja?«
    »Geht schon.«
    »Übrigens: die Frau hatte geweint, und ich habe noch einen Mann bei ihr im Auto sitzen sehen.«
    Bei Raphaela war nur der Anrufbeantworter dran. Marta sprach aufs Band, sie könne nicht mehr bleiben und dass sie den nächsten Zug nehmen würde.
    Zwei Pullover übereinander, im Rucksack Notizbuch, Schreibzeug, das Attest des Arztes und Capotes »Grasharfe«. Den Rest konnte Manu wegwerfen oder behalten; das ganze Zeug, das Greta unterwegs eilig für sie gekauft hatte, mochte sie nicht.
    Sie wechselte viermal das Abteil, verpasste den Anschlusszug, weil Bahnpolizei am Fuß der Rolltreppe stand, lief vor einem Mann davon, der Bartträger war, zog beim Aussteigen die Kapuze tief ins Gesicht.

    Raphaelas dunkelgrüner Passat hielt im Parkverbot direkt vor dem Ausgang.
    »Kleine, wie siehst du aus? Hast du nichts zu essen bekommen?«
    Sie drückte Marta an sich, begann zu weinen, als sie sich losmachte, ging glücklicherweise nahtlos zum Schimpfen über: »Diese Schweine! Denen werden wir es zeigen!«
    Vier Wochen vergingen, bis Marta Raphaelas Haus wieder ohne Begleitung verließ, zunächst nur für wenige hundert Meter bis zum Gemüseladen. Wochen, an die sie sich nur schemenhaft erinnern kann. Raphaela telefonierte viel, kochte Hühnersuppe oder Apfelpfannkuchen, ließ Marta schlafen oder lesen, rieb ihr die Schulter mit Arnikasalbe ein, brachte Videos mit alten amerikanischen Filmen vom Einkaufen mit, die sie sich abends in Decken gehüllt ansahen, weil Raphaela der Meinung war, Cary Grant sei in solchen Situationen immer noch der Beste.
    Über den Dorfplatz von Winnerod ist Marta nie wieder gegangen.
    Beim Gerichtstermin drei Monate später sah sie Richard und Greta von weitem. Es wurde nicht von ihr verlangt, während der Verhandlung im Saal anwesend zu sein. Man einigte sich auf Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts, regelte Einzelheiten per Vergleich, freie Arztwahl, Unterstützung nach Sozialhilfesatz und so weiter. Marta war alles recht, was ihr ein Leben ohne diese Menschen ermöglichte. Für eine Strafanzeige gegen Walter oder Mersburger war sie zu müde, aber dass die sich eine Weile davor fürchteten, das hatte sie ihnen gegönnt.
    Vorsichtsmaßnahmen, die nach mehreren Drohanrufen zur täglichen Übung wurden: nicht die Haustür öffnen, bevor man sich vergewissert hat, wer davor steht, den Gerichtsbeschluss stets bei sich tragen, einsame Gassen meiden.

    Die zugewiesene Fürsorgerin vom Jugendamt kam zu Besuch, prüfte die Verhältnisse und war froh über Raphaelas Bereitschaft, Marta weiterhin bei sich wohnen zu lassen. Einen Anruf Gretas wehrte Raphaela mit den Worten ab, man solle Marta in Ruhe lassen, worauf Marta bat, man möge ihr von weiteren Anrufen erst gar nicht berichten.
    Wenige Tage vor ihrem achtzehnten Geburtstag erhielt Marta einen Gedichtband mit Glückwünschen vom Jugendamt und der Frage, ob man doch noch einmal behilflich sein könne bei einer Kontaktaufnahme zu den Eltern, wenigstens zur Mutter? »Ansonsten: beste Wünsche für die Zukunft!«
    Marta antwortete nicht.
    Es sollte das Ende ihrer Geschichte mit Greta sein. Dachte sie.

    Was geblieben ist: neben dieser Leerstelle die Fähigkeit, in einer Menschenmasse blitzschnell die Gesichter abzuscannen, das wird oft bewundert: »Was du alles siehst!« Beim Bedienen kommt ihr das zugute: jeder Einzelne fühlt sich wahrgenommen, genau das, was sich Valentin von seinen Mitarbeiterinnen wünscht: »Macht es wie Marta, fokussiert eure Aufmerksamkeit auf die Gäste!« Sie hat auch Pauls Bruder nichts von ihrer Familiengeschichte erzählt, obwohl sie ihn täglich sieht und gerne die Mittagspause mit ihm verplaudert.

    Beim Betreten der Wohnung sieht Marta den
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