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An hoechster Stelle

An hoechster Stelle

Titel: An hoechster Stelle
Autoren: Jack Higgins
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Energie.
      Das Haus war ursprünglich in der Tudor-Zeit erbaut worden, aber hauptsächlich im georgianischen Stil gehalten, abgesehen von einigen späteren Anbauten. Die Wände des Esszimmers, der Eingangshalle, der Bibliothek und des riesigen Wohnzimmers waren mit Eichenholz getäfelt. Die große Küche stammte aus der Nachkriegszeit und war liebevoll dem Landhausstil angepasst worden. Es gab jetzt nur noch sechs Schlafzimmer, die anderen hatte man nach und nach zu Bädern oder Ankleidezimmern umgebaut.
      Den Großteil der tausend Morgen Land, die zu dem Besitz gehörten, hatte sie an verschiedene Farmer verpachtet und nur sechs Morgen rings um das Haus behalten, hauptsächlich Wald, dazu zwei große Rasenflächen und ein Spielfeld für Krocket. Ein pensionierter Farmer kam von Zeit zu Zeit, um alles in Ordnung zu halten, und wenn sie hier wohnten, setzte sich Hedley selbst auf den Traktor und mähte das Gras.
      Mrs. Smedley aus dem Dorf führte tagsüber den Haushalt,
    eine zweite Frau half ihr beim Putzen, falls es nötig war; mehr Angestellte brauchte sie nicht. Es war dieses ruhige, geordnete Leben und die Dorfbewohner, die ihr halfen, die Schicksalsschläge zu überwinden.
      Nach den strengen Gesetzen der britischen Aristokratie hieß sie als Roger Langs Ehefrau jetzt offiziell Lady Lang, da nur den Töchtern des höheren Adels gestattet war, ihre Vornamen zu verwenden. Doch die Menschen in diesem Teil Norfolks waren ein eigenes, halsstarriges Volk. Für sie war sie Lady Helen, und damit hatte es sich. Interessanterweise hielt man es in der Londoner Gesellschaft genauso.
      Jedem, der irgendwelche Hilfe brauchte, stand sie zur Seite; sie ging jeden Sonntag zur Kirche, begleitet von Hedley in seiner korrekten Chauffeursuniform, der stets auf einer der hinteren Bänke Platz nahm; und sie war nicht darüber erhaben, abends einen Drink im Pub des Dorfs zu nehmen. Auch dorthin begleitete Hedley sie immer; spätestens seit seinem beherzten Eingreifen in einer Notsituation vor einigen Jahren war er voll und ganz von diesen wortkargen Menschen akzeptiert worden.
      Durch eine ungewöhnlich hohe Flut und wolkenbruchartige Regenfälle war damals das Wasser in dem schmalen Kanal, der von einer alten Mühle aus durch das Dorf führte, beängstigend angestiegen, überflutete schließlich die Straßen und drohte, das Dorf von der Außenwelt abzuschneiden. Alle Versuche, das Schleusentor zu öffnen, an dem sich das Wasser staute, schlugen fehl, bis zuletzt Hedley mit einer Brechstange in das brusttiefe Wasser sprang, wieder und immer wieder untertauchte und es endlich schaffte, die uralten Bolzen zu lösen und das Tor aufzusprengen. Seit diesem Tag brauchte er im Pub nie mehr für einen Drink zu bezahlen.
      Trotz aller Tragik, die ihr Leben überschattete, hätte es also schlimmer sein können – doch dann erhielt Lady Helen unerwartet einen Anruf, der letztlich ebenso katastrophale Folgen haben sollte wie der Anruf vor zwei Jahren, wo sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte.
      »Helen, bist du das?« Die Stimme klang schwach, doch irgendwie vertraut.
      »Ja, wer spricht da?«
      »Tony Emsworth.«
      Sie erinnerte sich gut an diesen Mann, der vor Jahren als Offizier unter ihrem Ehemann gedient hatte und später Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt gewesen war. Er musste inzwischen um die siebzig sein. Sie hatte ihn seit längerer Zeit nicht mehr gesehen – merkwürdigerweise auch nicht bei Peters Trauerfeier oder der Beerdigung ihres Mannes, wie ihr plötzlich einfiel. Damals hatte sie das nicht weiter bemerkt.
      »Ja, Tony«, sagte sie. »Wo bist du denn?«
      »In meinem Haus in Stukeley, einem kleinen Dorf in Kent, nur vierzig Meilen von London entfernt.«
      »Wie geht es Martha?«
      »Ist vor zwei Jahren gestorben. Ich rufe aus einem bestimmten Grund an, Helen, ich muss dich nämlich unbedingt sehen. Es ist eine Sache von Leben und Tod.« Ein Hustenanfall schüttelte ihn. »Ja, so kann man tatsächlich sagen. Mit mir geht’s zu Ende. Lungenkrebs.«
      »Tony, das tut mir ehrlich Leid.«
      »Mir auch«, versuchte er zu scherzen. »Helen, meine Liebe, du musst unbedingt kommen«, bat er mit eindringlicher Stimme. »Ich muss mir etwas von der Seele reden, etwas, das du wissen musst.«
      Er hustete erneut. Sie wartete, bis der Anfall vorbei war. »Gut, Tony, reg dich nicht auf. Ich fahre heute Nachmittag nach London, bleibe über Nacht dort und bin am nächsten Morgen
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