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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde
Autoren: Stéphane Hessel
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1982? Sagt Ihnen das was?
    S.H.: 1982 …?
    A.M.: Ich helfe Ihnen ein klein bisschen auf die Sprünge. Damals ist ein verdienter Diplomat in den Ruhestand getreten …
    S.H.: Ach, Sie meinen den alten Stéphane Hessel? Ja, von dem spricht man immer wieder … Ja, da war ich fünfundsechzig Jahre alt, und mit fünfundsechzig kommt man in den Ruhestand. Aber wenn man großes Glück hat – und ich habe mein Leben lang immer großes Glück gehabt! –, dann sagt der Präsident der Republik: »Dieser Diplomat, dieser Botschafter hat sich ganz gut verhalten, dem wollen wir etwas Gutes tun. Machen wir ihn zu einem Ambassadeur de France!« Ich habe daraufhin gefragt: »Na ja, was heißt denn das?« Die Antwort war: »Das bedeutet, dass Sie bis zu Ihrem Lebensende die Würde eines Botschafters Frankreichs tragen. Und zwar nicht eines Botschafters in einem Land oder des Botschafters einer Organisation, sondern die eines Botschafters Frankreichs!« Das bedeutet also, dass ich jetzt hier in diesem Saal in Zürich die historischen Werte Frankreichs irgendwie auf mir trage und sie hier verteidigen muss. Und zwar nicht für eine besondere Regierung, sondern für Frankreich im Allgemeinen. Das ist eine große Würde, eine große Ehre, die nicht immer so leicht zu tragen ist – aber ich versuche es!
    A.M.: Ich glaube, wir haben es klar zu hören gekriegt: einerseits die ureigene Geschichte und andererseits aber auch das ganz große Engagement für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wollen Sie oder soll ich den Artikel1 kurz wiedergeben, weil es immer wieder gut ist, daran erinnert zu werden, was im Artikel 1 steht? Ich lese ihn schnell vor, wenn Sie wollen.
    »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und mit Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.«
    Monsieur Hessel, Sie legen enormes Gewicht auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Nun ist es aber leider in der Realpolitik nicht zwingend, dass der Umsetzung der Menschenrechte Priorität eingeräumt wird. Sind Sie auch ein bisschen desillusioniert?
    S.H.: Natürlich muss man diesen besonderen, wunderbaren Text nicht als eine Tatsache nehmen. Eine Tatsache ist er nicht, aber er ist eine Hoffnung und ein Ziel und auch ein Programm! Nun kann man schon sagen, dass keiner von den hundertdreiundneunzig Staaten, die den Vereinten Nationen angehören und die augenblicklich in New York zusammensitzen und sich beraten, ob sie Palästina einen Staat geben werden oder nicht – noch ist das nicht ganz ausgeschlossen, vielleicht kommt der Staat ja noch zustande –, also, man kann mit Recht sagen, dass wahrscheinlich keiner von den hundertdreiundneunzig Staaten wirklich dieser Menschenrechtserklärung ihren vollen Wert gibt. Was bedeutet es schon, in Brüderlichkeit zusammen zu sein, während man gleichzeitig nach links und rechts ausschlägt und Kriege macht? Und das ist noch für viele Länder der Fall!
    Wie viele von diesen hundertdreiundneunzig Staaten sind wirklich Demokratien? Die Frage stellt man mirmanchmal, wenn ich für die UNO plädiere. Dann sagt man mir: »Jaja, Ihre UNO, aber wie viele dieser Länder sind wirklich Demokratien?« Meine Antwort ist dann: »Es sind wenige, aber es werden immer mehr! Das ganze halbe Jahrhundert seit 1950 sind wir doch vorwärtsgekommen. Jedes Jahr sind neue Demokratien hinzugekommen. Es gibt noch viele Staaten, die keine Demokratien sind, und es gibt leider Gottes auch viele Staaten, die es sind und sich als Demokratien vorstellen, aber immer noch nicht alle diese Rechte umgesetzt haben. Man denke nur daran, wie man zum Beispiel Immigranten auch in den besten Demokratien behandelt! Da ist etwas, was mit dem Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 12 nicht zusammengeht. Also, wir sind schuldig, aber es gibt einen Fortschritt!«
    Man denke nur an den Erdteil Afrika, da haben wir oft das Gefühl, dass die Zustände dort desillusionierend sind, weil es doch Völkermord und allerlei Schlimmes gegeben hat. Aber selbst in Afrika, wenn man dort ist, fühlt man, dass es vorwärtsgeht. Und vergessen wir nicht, was in Tunesien, in Ägypten und in Libyen geschieht! Und vielleicht morgen in Jemen und in Syrien, da bewegt sich doch was! Also, man darf nicht ungrateful, undankbar sein …
    A.M.: Aber warten Sie, ich möchte Sie ein bisschen provozieren. Ich glaube, Sie ertragen das recht gut.
    S.H.: Ja, gern.
    A.M.: Sie setzen offensichtlich ganz
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