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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde
Autoren: Stéphane Hessel
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Frage, und ich danke Ihnen, dass Sie sie gestellt haben. Ich denke, es gibt mindestens zwei Arten, wie man sich heutzutage engagieren kann. Esgibt die sogenannten Nichtregierungsorganisationen, die NGOs. Die kennen wir alle, ob sie nun Amnesty International, Human Rights Watch oder Ligue des droits de l’Homme heißen. Sie können in einem oder mehreren Ländern vertreten sein. Sie können so vernetzt sein wie zum Beispiel die Bewegung Attac, deren Präsidentin Susan George 13 kürzlich ein schönes Buch mit dem Titel Leurs crises, nos solutions geschrieben hat. Was die Mobilisierung von so vielen Leuten betrifft, muss man feststellen, dass sie heute aufgrund der neuen Technologien viel besser miteinander kommunizieren können als zur Zeit meiner Jugend – damals hatte man vielleicht schon das Telefon, aber keinen Fernseher und vor allem nicht das Internet –, man kriegt wirklich das Gefühl, dass eine soziale Bewegung eine gewisse Wirksamkeit erlangen kann. Aber die Gefahr besteht, sollte man sich nur auf diese Weise, über den Weg von NGOs, einsetzen und engagieren, dass die Regierungen und die Parlamente unbeaufsichtigt arbeiten werden, weil der zivilgesellschaftliche Einfluss auf sie abnimmt. Daher ist es wichtig, sich nicht nur in Nichtregierungsorganisationen zu engagieren. Wenn ich junge Menschen sehe, wie sie sich zum Beispiel hier in Zürich zur Occupy-Paradeplatz-Bewegung zusammentun, so ist ihre Mobilisierung gut und notwendig. Aber sie sollten dann später auch den Weg in die Parteien machen, die die Regierungen wirksamer beeinflussen können. Man muss die Jugendlichen, die man für ihre Energie und ihren Willen, sich zu empören und zu engagieren, bewundert, als Vorbilder nehmen, damit die großen anstehenden Veränderungen durch die Parlamente, Regierungen und internationalen Organisationen wie die UNO und andere durchkommen. Kurzum, man soll sich also gewissermaßen nicht »beiseite«, sondern »mittendrin« engagieren.
    A.M.: Nun zeigen uns aber die arabischen Revolten ja eigentlich genau das Gegenteil! Nicht der Apparat, sondern die sogenannte Zivilgesellschaft, also die Menschen quer durch alle Schichten hindurch waren es, die auf die Straße gingen und ihre Diktatoren, zumindest in einzelnen Ländern, zum Teufel gejagt haben. Das würde aber gegen Ihre These des politischen Agierens innerhalb der institutionalisierten Politik sprechen. Und wenn ich eine kleine Desillusion hinzufügen darf oder muss: Mit dem letzten Wahlsonntag ist das Durchschnittsalter des Schweizerischen Nationalrates jünger geworden, es liegt jetzt nur noch bei 51 Jahren.
    S.H.: Um auf den Arabischen Frühling zurückzukommen, so interessiert mich ganz besonders folgende Tatsache: Das Erste, was
     die Tunesier auf ihre Agenda gesetzt haben, als sie Ben Ali losgeworden sind, waren Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung. Das bedeutet also,
     dass sie eine Demokratie aufbauen wollen, und zwar wollen das nicht nur die explizit demokratischen Kräfte, sondern auch die Partei der Ennahda 14 , vor der einigeAngst hatten und sich sagten, dass sie Islamisten seien und vielleicht gar keine Verfassung, sondern die Scharia wollen. Auch sie haben sich den demokratischen Kräften angeschlossen und beteuerten: Wir brauchen eine Verfassung, und wir brauchen Demokratie.
    Auch in Ägypten wurde der Weg zu Wahlen eingeschlagen. Ich denke, gerade da, wo sich Empörung breitmacht und man erst mal den Diktator stürzen will, oder auch in Spanien, wo Unzufriedenheit über die Art und Weise bekundet wird, wie man regiert wird, ist der nächste Schritt dann der, die Forderung nach einer Verfassung oder nach neuen Wahlen zu stellen. Zudem zeigt die jüngere Generation im Westen genügend Klugheit, die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu verarbeiten und sich zu sagen, dass man hier eine Revolution nicht mehr so braucht, wohl aber eine Verfassung und eine Demokratie. Das macht mir große Freude!
    A.M.: Etwas weniger Freude bereiten Sie ja verschiedenen Vertretern des Staates Israel, die es mäßig schätzen, dass Sie Boykottaufrufen gegenüber Produkten aus israelischen Siedlungen, ich will es mal so formulieren, nicht heftig widersprechen. Können Sie das tatsächlich mit gutem Gewissen tun?
    S.H.: Ja, mit ganz gutem Gewissen! Die Europäische Union hat mit anderen Ländern Verträge abgeschlossen, die darauf bestehen, dass die Menschenrechte in denjenigen Ländern respektiert werden sollen, mit denen wir handeln. Wenn also Israel die
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