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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde
Autoren: Stéphane Hessel
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heute die Beziehungen zwischen Einzelnen über die ganze Welt hinweg so eng sind.
    R.M.: Schließt aber ein historisches Bewusstsein des Nahostkonfliktes und seiner Ursprünge neben der Verpflichtung gegenüber Israel nicht auch eine gegenüber Palästina mit ein, und das meint, dass, solange Völkerrecht durch Israel gebrochen wird und Kolonialisierung stattfindet, dieses auch international zur Debatte anstehen muss, statt durch Schweigen mehr oder weniger gebilligt zu werden?
    S.H.: Genau. Das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern ist skandalös. Sie behandeln die Palästinenser nicht als ein Nachbarvolk, mit dem man gute Verbindungen haben muss und soll, sondern so, als gäbe es die Palästinenser nicht, so als gälte nicht, was die Vereinten Nationen immer wieder gesagt haben: Israel muss die Grenzen von 1967 akzeptieren, und Ostjerusalem soll die Hauptstadt Palästinas sein. Man hat die israelische Regierung immer wieder darauf aufmerksam gemacht, doch sie hat nicht zugehört. Ich habe eine sehr positive Beziehung zum Judentum, aber ich empfinde auch die Notwendigkeit, dass der Islam dasselbe Anrecht hat, unterstützt zu werden, wie das Judentum. Wir brauchen Palästina als Staat, und wir brauchen ihn als einen freundlichen Staat gegenüber Israel. In den letzten sechzig Jahren hat sich aber durch eine sehr falsche Politik so viel Hass auf beiden Seiten aufgebaut, dass wir nun einen Neuanfangbrauchen. Ich fand sehr interessant, dass gerade auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv auch Tage des Zorns und der Empörung stattfanden.
    R.M.: Aber man hat sich nicht über die Siedlungspolitik empört.
    S.H.: Noch nicht! Aber wenn die Israelis nachdenken, weshalb sie soziale und wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, und dann die Kolonialpolitik ihrer Regierung, die kostspielig ist, hinterfragen …
    R.M.: Sie erwarten einen Frühling auch für Israel?
    S.H.: Genau, und ein solcher Frühling würde vor allem bedeuten, den anderen Blumen zu geben!
    R.M.: Das wäre natürlich wunderbar, aber mit Blick auf den UNO-Sicherheitsrat sieht es ganz so aus, dass wieder Winter einzieht. Eine UNO-Mitgliedschaft Palästinas wird durch die Vereinigten Staaten abgelehnt.
    S.H.: Unser Mitgefühl muss entschieden den Palästinensern gelten. Die derzeitige Regierung Israels braucht unser Mitgefühl nicht, denn sie benimmt sich nicht so, dass sie es verdiente. Man muss diesen Unterschied sehr stark machen – die Sympathie und das Mitgefühl für die Juden ist etwas ganz anderes als eine Sympathie und Mitgefühl für die Regierung Israels! Den Juden gegenüber haben wir die größte Sympathie und Anteilnahme für ihr Schicksal, das durch die Zeiten hindurch aus einer leidvollen Geschichtevon Pogromen bestand und schließlich zur Shoah führte. Aber die Regierung Israels muss man in die Pflicht nehmen, denn Israel ist zu etwas verpflichtet. Wie sieht diese Verpflichtung aus? Die Verpflichtung rührt daher, dass das Land ohne Unterstützung durch die Vereinten Nationen nie hätte ausgerufen werden können. Und wenn eine Regierung – nicht die Bevölkerung – alles macht, um dieses gute Verhältnis zu zerstören, dann sind die anderen Nationen verpflichtet, diese Nation so zu behandeln wie jedes andere Land.
    Hingegen wurde das palästinensische Volk in den letzten vierzig oder sechzig Jahren so geschunden, dass man wegen des israelischen Embargos heute im Gaza-Streifen wieder Häuser aus Lehm baut! Wir sprachen von der zunehmenden Prekarität in Europa, aber die Prekarität in Palästina ist natürlich noch viel schlimmer. Palästina braucht die Anteilnahme der Welt. Das will im Einzelnen nicht heißen, dass die einen recht und die anderen unrecht haben, aber den Palästinensern ist bis jetzt nichts geschenkt worden. Wenn wir so weitermachen und ihnen weder Anteilnahme noch Anerkennung aussprechen, dann begehen wir einen politischen wie philosophischen als auch religiösen Fehler – und das in einem ausschlaggebenden Moment, mitten im Arabischen Frühling!
    R.M.: Günter Grass wurde jüngst wegen seines Gedichts Was gesagt werden muss heftigst attackiert. Ich möchte die Debatte nicht noch einmal aufrollen, wohl aber was während dieser Debatte in Deutschland mehrheitlich unter den Tisch gekehrt wurde: die Besatzung, die illegalen Siedlungen in der Westbank, die schleichende AnnexionOstjerusalems, das Embargo gegen den Gaza-Streifen, die Verletzungen des Völker- und Menschenrechts und der UNO-Resolutionen, dies alles fein
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