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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde
Autoren: Stéphane Hessel
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säuberlich aufgearbeitet und dokumentiert durch die UNO, und schließlich das Faktum einer zwar nicht offiziellen, de facto aber doch bestehenden israelischen Atommacht, die Grass zu Recht unter internationale Aufsicht stellen will – Iran einschließend. Als Schweizer, der Deutschlands Verhältnis zum Nahostkonflikt oft mit Kopfschütteln verfolgt – etwa die Ablehnung der Aufnahme der Palästinenser als UNESCO-Mitgliedsstaat durch Deutschland 2011, eine Minimalforderung, die man ihnen durchaus hätte zugestehen können –, stelle ich fest, dass der Verdacht auf Antisemitismus in diesem Land sehr geläufig ist, sobald man Israels Regierung und seine Menschenrechte und Völkerrecht verletzende Außenpolitik kritisiert. Wie sehen Sie das?
    S.H.: Ich fand ihn sehr mutig, nicht wahr, den Günter Grass! Natürlich wurde er heftig attackiert. Ich vermute, dass er sich plötzlich sagt, dass wir uns mit der israelischen Regierung nicht verständigen können, weil sie sich aus jeglichem internationalen Recht heraushält, und dass wir daher die derzeitige israelische Regierung auch nicht unterstützen sollten. Man muss sich vor Augen halten, dass es Zeitgenossen gibt, die all das durchlebt haben, was während des Zweiten Weltkriegs passiert ist. Die sind jetzt vielleicht der Meinung, was die israelische Regierung tut, um ihr Land und seine Zukunft zu sichern, dem kann man nichts nachsagen, auch wenn es außerhalb von dem liegt, was wir alle zusammen als internationales Recht empfinden. Dasselbe passiert unglücklicherweise auch den VereinigtenStaaten. Auch sie haben das Gefühl, sie können sich erlauben, da einzugreifen, wo es ihre Macht nötig hat, ohne ein internationales Abkommen zu respektieren. Also, man kann solche Sachverhalte nur konstatieren. Und natürlich gibt es in Deutschland eine Scheu.
    R.M.: Ja, in Deutschland hat man eine Scheu, Israel zu kritisieren – aus historisch nachvollziehbaren Gründen. Die Frage aber ist, ob die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, die sehr erfolgreich gewesen ist, nicht in einem Punkt problematisch ist, nämlich, dass diese Vergangenheitsbewältigung oft die notwendige Gegenwartsbewältigung verhindert. Deutschland traut sich sehr oft nicht zu, etwas gegen die israelische Regierung zu sagen, dies zu Lasten einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik.
    S.H.: Ich würde in diesem Zusammenhang ganz einfach sagen, dass die Deutschen, aber nicht nur sie, sondern auch alle anderen Europäer recht damit hatten, dass die schlimme Schuld den Juden gegenüber getilgt werden musste. Leider war es nur möglich, den verfolgten Juden das zu geben, was ihnen nach der Schande des Zweiten Weltkriegs zukam, indem man anderen etwas wegnahm. Frankreich hat zu Afrika ein kompliziertes Verhältnis wegen seiner kolonialen Vergangenheit. Deutschland hatte seinerzeit in Afrika ebenfalls ein Kolonialreich. Während das Verhältnis zwischen Franzosen und Afrikanern aber immer noch belastet ist, weil sie sie so schlecht behandelt haben, hat Deutschland dieses Kapitel mit Afrika überwunden. So wird es Deutschland auch mit Israel einmalgehen, es wird das belastete Verhältnis einmal überwinden – im Übrigen hat sich auch Frankreich den Juden gegenüber nicht so verhalten, wie es dies hätte tun sollen.
    R.M.: Das gilt auch für die Schweiz, die sich erst in jüngster Zeit damit befasst hat.
    S.H.: Aber zu dieser historischen Schuld der Deutschen kommt, und das ist etwas sehr Wichtiges, das Jus – das Recht! Wir leben in einer Welt des Rechts, und dafür gibt es immer mehr Unterstützer. Wir hatten eine Zeit, in der wir alle durch das Recht verbunden waren, das waren die 1990er Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Nehmen wir außerdem den Irak, der Kuwait eroberte – da haben wir alle zusammen gegen Saddam Hussein opponiert. Dann ereignete sich leider 9/11, und mit der Regierung von George W. Bush kam – vielleicht in der internationalen Diplomatie das Folgenreichste – die Behauptung der Vereinigten Staaten, dass sie das Recht hätten, die Welt anzuführen, und zwar mit der UNO, wann immer dies möglich sei, aber eben auch ohne die UNO, falls sie es für notwendig erachten.
    R.M.: Ja, sie sprechen die Instrumentalisierung der UNO durch die Amerikaner an, die denen, die nicht mitmachen wollten, zur Auskunft gaben: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!
    S.H.: Nicht wahr? Damit geht etwas Wichtiges in die Brüche, was ich eben das Jus, das Recht nenne.
    R.M.: Ich möchte noch einmal auf
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