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An den Rändern der Zeit (German Edition)

An den Rändern der Zeit (German Edition)

Titel: An den Rändern der Zeit (German Edition)
Autoren: Antje Ippensen
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aushalten können, und sie war wirklich übel zugerichtet. Er machte ein, zwei zaghafte Schritte auf sie zu.
    „Nicht näher!“, sagte sie leise, aber scharf, und ihre gefesselten Hände fuhren hoch, nahmen die Sonnenbrille ab.
    „Schon gut, schon gut“, Dymekon wich zurück und beschirmte seine Augen mit der flachen Hand, „ich wollte dir nur helfen … oder es versuchen. Ich … es tut mir leid, dass man dich …“
    „Ich verzichte auf dein Gewäsch!“, fauchte B.C. und spuckte noch mehr Blut. Ihn schauderte. Sie betrachtete ihn und verzog ihr Gesicht zu einem schrecklichen, blutigen Grinsen.
    „Kein sehr ästhetischer Anblick, nicht wahr? Ich weiß doch, wie sehr dir das zuwider sein muss. Auch deshalb hattest du wohl immer eine Vorliebe für die subtileren Methoden. Spritzen, Elektroschocks und dergleichen. – Sag jetzt, was du zu sagen hast. Aber beeil dich. Denn ich, weißt du, ich bin fast schon unterwegs.“
    Dymekon nahm sich zusammen. „Wie wir alle, meinst du“, sagte er, sich zu einem ruhigen Tonfall zwingend.
    Ihre Erwiderung kam rasch und kalt. „Alle? DU kannst doch noch hören, oder? Klar, weil du aus dem LABOR stammst. Bist fein raus. Ein paar von euch werden es schon schaffen, ihr seid zäh. Schade eigentlich. Sieht man’s mal wieder. Alle Menschen sind gleich, wenn auch nur gleich taub, aber ein paar sind wieder einmal gleicher als die anderen. Wer hört, kommt davon.“ Kryptisch und fast flüsternd setzte sie hinzu: „Zeit ist blind.“
    Dymekon musste kurz an den Zug mit seinen raureifbeschichteten Fensterscheiben denken, durch die man nicht hindurchblicken konnte. Nicht einmal, wenn man versuchte, sie anzuhauchen und Kreise mit dem Finger zu malen, wie Kinder es tun.
    „Du weißt, dass ohne dich der Zug weiterrasen wird. Er stirbt nicht mit dir.“
    „Na und? Was solls. Irgendwann wird er schon zum Stillstand kommen. Von allein.“ B.C. biss die Zähne zusammen, als eine neue Schmerzwelle durch ihren Körper lief.
    „Aber erst, wenn er die gesamte Augenwelt vollkommen durchlöchert hat, perforiert wie einen … wenn das letzte Bisschen Raum zerfetzt ist durch das Tosen des Zuges, das unaufhörliche.“ Dymekon rang seine welken Hände. „Du weißt, was geschehen wird, B.C.! Das Raumzeitkontinuum ist am Ende förmlich … pulverisiert, und dann werden so große Stücke in unserer Wirklichkeit fehlen, dass kein einziger Ton mehr erklingt, keine Schwingung mehr entsteht, was niemand ertragen kann – für die noch Hörfähigen verlängert sich nur die Agonie! Und kein Mensch weiß, ob es nicht eine Kettenreaktion gibt über die Grenzen unserer Welt hinaus … Und das alles KÜMMERT DICH NICHT? Dir ist EGAL, dass es deine Erfindung ist, die all dies auslöst? – Oh, gleich wirst du erwidern, dass wir sie manipulierten, damals, doch das taten wir, um deiner Vermessenheit Grenzen zu setzen! Wir sind möglicherweise mitschuldig, das leugne ich nicht! Eben deshalb bin ich jetzt hier, auch Eric hatte vor dich zur Vernunft zu bringen, aber Eric ist ein jämmerlicher Versager, er …“ Dymekon verstummte für einen Moment.
    B.C. betrachtete ihn, als sei er ein mäßig interessanter Käfer.
    „Nur du kannst den Zug stoppen. Bitte, halte ihn an.“ Das kam leise, fast demütig.
    B.C. keuchte hohl, was wohl eine Art Lachen sein sollte. Sie starb, daran gab es keinen Zweifel.
    „Genau darauf habe ich doch noch gewartet. Auf das Zauberwort des Labors. Bitte, lass dir diese Spritze geben. Bitte, hör auf zu weinen. Bitte, wir müssen noch diesen Gehirnstromtest machen. Bitte, sei eine gute Ratte und laufe durch das Labyrinth.“
    Jedes „Bitte“ aus ihrem Mund, aus dem träge ihr Blut floss, war wie ein Steinwurf.
    Dymekon suchte nach Entschuldigungsworten, doch sie erfroren ihm auf der Zunge, es hatte keinen Sinn.
    „Es ist dir wirklich egal, was aus uns allen wird“, wisperte er.
    „Ein hartes Stück Arbeit, dich davon zu überzeugen, Alter. Eins sage ich dir noch, also höre gut hin: Ich hatte etwas anderes im Sinn, als ich das erfand, woraus dann der Zug wurde. Was, spielt jetzt keine Rolle mehr. Trotzdem, auch das solcherart durch DEN FEHLER verzerrte Experiment hat seine interessanten Momente, und ich kann unter der Karikatur meiner Erfindung immer noch den Kern des Ganzen sehen und beobachte es … die Löcher im Raumzeitgefüge, die Seuche des Inneren Lärms, all das bedeutet nichts angesichts dieser – Essenz. Alles nichts als ein kleiner Nebeneffekt. Liegt doch eigentlich
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