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Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
Autoren: Michael Robotham
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Dmitri hat ihm die Armbanduhr abgenommen und vergleicht sie mit seiner eigenen.
    Derweil fällt flüsternd der Schnee, Flocken tanzen und trudeln und decken alle Grautöne zu, nur Schwarz und Weiß bleiben.
    Ein anderes Land. Eine andere Mutter mit Kind.
    Daj sitzt neben mir im Rollstuhl und ist in jenes Schweigen verfallen, das andere Menschen verlegen macht. Sie ist in eine weiße Stola gewickelt, die sie mit ihren krummen Fingern zusammenhält, und starrt bewegungslos aus dem Fenster wie ein uralter bösartiger Raubvogel.
    Hinter uns bauen die Teilnehmer einer Ikebanagruppe ihre Materialien auf Tischen auf, bläulich getönte graue Köpfe, die gurrend und zwitschernd zwischen verschiedenfarbigen Blumen und Gräsern wählen.
    Ich zeige Daj die Titelseite einer Zeitung. Das Foto zeigt Mickey und Rachel, die sich in der Ankunftshalle von Heathrow für die Fotografen umarmen. Ich bin im Hintergrund mit einem Gepäckwagen zu erkennen. Auf dem obersten Koffer liegt eine handbemalte Matroschka.
    Joe ist auch im Bild. Neben ihm steht Ali, die sich auf seine
Schulter stützt. Sie hält ein Plakat hoch, auf dem steht: »Willkommen zu Hause, Mickey!«
    »Erinnerst du dich an das vermisste Mädchen, Daj – das ich vor etlichen Jahren gesucht habe? Nun, ich habe sie gefunden. Ich habe sie nach Hause zurückgebracht.«
    Einen kurzen Moment lang sieht Daj mich stolz an und ergreift mit ihren knochigen Fingern meine Hand. Dann wird mir klar, dass sie es nicht begreift. Ihr Verstand antwortet auf einer anderen Frequenz.
    »Achte darauf, dass Luke nicht ohne Schal nach draußen geht.«
    »Okay.«
    »Und wenn er Fahrrad fährt, soll er die Hosenbeine in die Socken stecken, damit er sich nicht mit Öl voll schmiert.«
    Ich nicke. Sie lässt meine Hand los und wischt einen nicht existierenden Krümel von ihrem Schoß.
    Von jetzt an werde ich sie öfter besuchen – nicht nur am Wochenende, sondern auch abends. Sie vergisst meistens gleich wieder, dass ich da bin. Sie gibt sich Mühe, aber es übersteigt mittlerweile ihre Kräfte.
    Villawood Lodge ist teuer, und der größte Teil meiner Ersparnisse ist aufgebraucht. Einen kurzen Moment lang habe ich überlegt, eine Hand voll Diamanten zu behalten oder vielleicht Ali ein paar zu geben, als Entschädigung für alles, was sie durchgemacht hat. Sie hätte sie natürlich nicht genommen, und ich verstehe, warum.
    Sie sind mit Blut befleckt.
    Harold, Alexejs Gärtner in Hampstead, hat die Steine gefunden und dankbar die Belohnung kassiert. Er wurde sogar für die Zeitung fotografiert, neben der Sonnenuhr, in der er die vier Samtsäckchen entdeckt hat.
    Daj wendet den Kopf und lauscht. Irgendjemand spielt im Musikzimmer Klavier. Draußen stapft eine Gruppe Powerwalker durchs Gelände, ein Zug pendelnder Arme und schwingender
Hintern. Die Anführerin hebt die Knie und schaut zurück, um sich zu vergewissern, dass niemand bummelt und den Anschluss verliert.
    »Ich kann alle verlorenen Kinder sehen«, flüstert Daj. »Du musst sie finden.«
    »Ich kann sie nicht alle zurückbringen.«
    »Du hast es nicht versucht.«
    Sie sieht mich jetzt direkt an – und erkennt mich. Ich möchte den Augenblick festhalten, weil ich weiß, dass er nicht von Dauer sein wird. Irgendetwas wird die leichte Brise stören, und ihr Verstand wird sich zerstreuen wie die Sporen von Pusteblumen.
    Ich glaube nicht an Schicksal, Bestimmung oder Karma. Ich glaube nicht, dass alles aus einem Grund geschieht und dass sich Glück und Pech im Laufe eines Lebens ausgleichen. Das Gesetz und die Ordnung des Universums sind atemberaubend – Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der Wechsel der Jahreszeiten und die Position der Sterne. Ohne diese Gewissheiten würde uns der Himmel auf den Kopf fallen. Auch die Gesellschaft hat ihre Gesetze. Mein Job war es immer, auf ihre Einhaltung zu achten. Ich weiß, das ist keine große Lebensphilosophie, aber für mich hat es bisher gereicht.
    Ich küsse Daj auf die Stirn, nehme meinen Mantel und gehe den harten, glatten Flur hinunter zum Eingang der Villawood Lodge. In der Halle gibt es ein öffentliches Telefon, das auch Kreditkarten akzeptiert. Die Nummern von Claire und Michael weiß ich auswendig. Manche Dinge vergisst man nie.
    Der Hörer an meiner Wange fühlt sich kalt an, als ich die Tasten drücke und dem Klingeln lausche. Es hat in meinem Leben viele verlorene Kinder gegeben. Vielleicht kann ich sie nicht alle zurückbringen, aber ich muss es versuchen.

Danksagung
    Ich möchte mich
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