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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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vollbringt.
    1486. Triumph! Afrika ist umfahren! Bartholomäus Diaz hat das Cap Tormentoso, das Kap der Guten Hoffnung, umrundet. Von dort geht der Weg nicht mehr weiter nach Süden. Nur nach Osten quer über den Ozean muß man mit den guten Monsunen steuern, den Weg, den man bereits von den Karten kennt, die dem König von Portugal die Expedition zweier jüdischer Gesandten an den »Prester John«, den christlichen König von Abessinien, heimgebracht; dann ist Indien erreicht. Aber die Mannschaft des Bartholomäus Diaz ist erschöpft und bringt ihn damit um eine Tat, die Vasco da Gama vollbringen wird. Genug für diesmal! Der Weg ist gefunden. Niemand kann Portugal mehr zuvorkommen.
    1492. Doch! Es ist jemand Portugal zuvorgekommen.Etwas Unglaubliches hat sich ereignet. Ein gewisser Colón oder Colom oder Colombo – » Christophorus quidam Colonus vir Ligurus «, wie Petrus Martyr berichtet –, »ein völlig unbekannter Mann«, » una persona que ninguna persona conocía «, wie ein anderer berichtet, ist unter spanischer Flagge westwärts in den offenen Ozean statt ostwärts über Afrika gefahren und hat – Wunder ohnegleichen! – auf diesem » brevissimo cammino « nach seiner Aussage Indien erreicht. Zwar hat er den Kubla Khan Marco Polos nicht angetroffen, aber er ist nach seiner Aussage zuerst auf der Insel Zipangu (Japan) gewesen und dann in Mangi (China) gelandet. Nur einige Tagereisen, und er hätte den Ganges erreicht.
    Europa staunt auf, da Columbus zurückkehrt mit merkwürdig rötlichen Indern, mit Papageien und seltsamem Getier und großen Erzählungen vom Golde. Sonderbar, sonderbar – so ist die Erdkugel doch kleiner als man gedacht, und Toscanelli hat wahr gesprochen. Drei Wochen muß man nur von Spanien oder Portugal nach Westen steuern, und man ist in China oder Japan und ganz nahe den Inseln der Gewürze; welche Torheit dann, wie die Portugiesen sechs Monate um Afrika zu segeln, da Indien mit all seinen Schätzen so nah vor den Toren Spaniens liegt. Und das Erste ist, daß Spanien sich durch päpstliche Bulle diesen Weg nach Westen und alle dort entdeckten Lande sichert.
    1493. Columbus, nun aber nicht mehr ein gewisser » quidam «, sondern Großadmiral ihrerköniglichen Majestät und Vizekönig der neuentdeckten Provinzen, fährt zum zweitenmal nach Indien. Er hat Briefe seiner Königin an den großen Khan mit, den er diesmal in China sicher anzutreffen hofft; er hat fünfzehnhundert Leute mit sich, Krieger, Matrosen, Siedler und sogar Musikanten, »um die Eingeborenen zu unterhalten«, außerdem reichlich eisenbeschlagene Kisten für das Gold und die Edelsteine, die er aus Zipangu und Calicut heimzubringen gedenkt.
    1497. Ein anderer Seefahrer, Sebastian Cabot, ist quer von England über den Ozean gefahren. Und erstaunlich, auch er hat Land erreicht. Ist es das alte »Vinland« der Vikinger? Ist es China? Wunderbar jedenfalls, der Ozean, der » mare tenebroso « ist bezwungen und muß seine Geheimnisse Stück um Stück den Mutigen jetzt ausliefern.
    1499. Jubel in Portugal, Sensation in Europa! Vasco da Gama ist heimgekehrt aus Indien über das gefährliche Kap. Er hat den andern, den weiteren, den schwierigeren Weg genommen, aber ist in Calicut gelandet bei den sagenhaft reichen Zamorims und nicht nur wie Columbus auf kleinen Inseln und abgelegenem Festland: er hat das Herz Indiens gesehen und seine Schatzkammern. Schon rüstet man eine neue Expedition unter Cabral. Spanien und Portugal sind jetzt im Wettlauf um Indien.
    1500. Ein neues Geschehnis. Cabral ist auf seiner Fahrt um Afrika zu weit nach Westen ausgewichen und ist abermals auf Land im Süden gestoßen wie Cabot im Norden. Ist es die InselAntilla, die sagenhafte der alten Karten? Ist es abermals Indien?
    1502. Es ereignet sich zu viel, als daß man es fassen, begreifen, übersehen könnte; in diesem einen Jahrzehnt ist mehr entdeckt worden als vordem in Tausenden Jahren. Ein Schiff nach dem andern fährt aus dem Hafen, und jedes bringt neue Botschaft heim. Es ist, als ob ein zauberischer Nebel plötzlich zerrissen wäre: überall im Norden, im Süden taucht Land, überall eine Insel auf, wohin sich der Kiel nach Westen wendet; der Kalender mit all seinen Heiligen hat nicht mehr genug Namen, sie alle zu benennen. Ihrer tausend behauptet der Admiral Columbus allein entdeckt und die Ströme gesehen zu haben, die aus dem Paradies entspringen. Aber sonderbar, sonderbar! Wieso waren all diese Inseln, diese merkwürdigen Länder an der
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