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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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plötzliche Wendung in seinem Leben. Zwanzig Jahre und bald dreißig Jahre hat der kluge und fleißige Florentiner als kleiner Angestellter vertan in fremden Geschäften. Er hat nicht Haus und nicht Weib und nicht Kind. Er steht allein, die Wende des Lebens ist nahe, und er sieht noch nirgends Sicherheit und Halt. Nun gibt diese Zeit der Entdeckungen dem Verwegenen, der sein Leben als Einsatz wagt, eine einzigartige Gelegenheit, mit einem Griff Reichtum und Ruhm an sich zu raffen; es ist eine Zeit für Abenteurer und Wagnisse, wie sie die Welt seitdem kaum wieder gekannt. So entschließt sich genau wie Hunderte und Tausende anderer gescheiterter Existenzen der bisherige kleine und wahrscheinlich bankrotte Kaufmann Amerigo Vespucci, sein Glück auf einer Fahrt nach dem Neuen Indien zu versuchen. Als im Mai 1499 Alonso de Hojeda im Auftrag des Kardinals Fonseca eine Flotte ausrüstet, schifft sich Amerigo Vespucci mit ihm ein.
    In welcher Eigenschaft er von Alonso de Hojeda mitgenommen wurde, ist nicht ganz klar. Zweifellos hat sich im täglichen Umgang mit Kapitänen, Schiffsbauern, Warenlieferanten der Faktor der Ausrüstungsfirma Beraldis gewisse Fachkenntnisse erworben. Er kennt ein Fahrzeug vom Kiel bis zur Mastspitze in jedem Detail, außerdem scheint er, als gebildeter Florentiner den meisten seiner Reisegenossen an geistigem Format hundertfach überlegen, schon vorher dieZeit genützt zu haben, sich nautische Kenntnisse anzueignen. Er lernt das Astrolabium handhaben, die neuen Methoden der Längenberechnung, er befaßt sich mit Sternkunde, übt sich in der Anlegung von Karten, so daß anzunehmen ist, daß er entweder in der Eigenschaft eines Piloten oder eines Astronomen und nicht bloß als einfacher Makler diese Expedition begleitet hat.
    Aber selbst wenn Amerigo Vespucci damals noch nicht als Pilot und nur als simpler Geschäftsmann diese Expedition begleitet haben sollte: jedenfalls kommt er als erfahrener Fachmann von dieser vielmonatlichen Reise zurück. Ein verständiger Kopf, ein guter Beobachter, ein geübter Rechner, eine neugierige Seele, ein geschickter Kartenzeichner, muß er sich unterwegs besondere Qualitäten in diesen vielen Monaten erworben haben, die ihn in seemännischen Kreisen besonders bemerkbar machen. Denn wie jetzt der König von Portugal eine neue Expedition vorbereitet in die von Cabral soeben entdeckten Gebiete Brasiliens, an dessen Nordküste auch Vespucci auf Hojedas Fahrt gesegelt, so wendet er sich gerade an Vespucci mit dem Antrag, diese neue in der Eigenschaft als Pilot, Astronom oder Kartenzeichner zu begleiten. Daß der König des Nachbarlandes, der an ausgezeichneten Piloten und Seemännern wahrhaftig keinen Mangel hat, just Vespucci in sein Land beruft, bezeugt unwiderleglich besondere Wertschätzung dieses bisher unbekannten Mannes.
    Vespucci zögert nicht lange. Die Reise mitHojeda hat ihm keinerlei Erträgnis gebracht. Er ist nach all den Mühsalen und Gefahren vieler Monate genau so arm nach Sevilla zurückgekommen, wie er ausgefahren. Er hat keine Stellung, keinen Beruf, kein Geschäft, kein Vermögen; somit bedeutet es keinerlei Untreue gegenüber Spanien, wenn er diesem ehrenvollen Rufe Folge leistet.
    Aber auch diese neue Fahrt bringt ihm keinen Gewinn und nicht einmal Ehre ein. Denn sein Name wird bei dieser Expedition ebensowenig genannt wie der des Befehlshabers der Flotte. Die vorgeschriebene Aufgabe dieser Erkundungsfahrt war ausschließlich, möglichst tief die weite Küste entlangzufahren und die ersehnte Durchfahrt zu den Gewürzinseln zu finden. Denn noch immer ist man in dem Wahn befangen, diese Terra de Santa Cruz, auf die Cabral gestoßen, sei nichts als eine Insel mittleren Umfangs, und wenn man sie glücklich umfahren habe, müsse man bei den Molukken, der Quelle alles Reichtums, dem Dorado der Gewürze sein. Es wird nun das historische Verdienst dieser Expedition, die Vespucci begleitet, daß sie als erste diesen Irrtum berichtigt. Die Portugiesen steuern die Küste entlang zum dreißigsten, zum vierzigsten, zum fünfzigsten Breitengrade. Noch immer nimmt das Land kein Ende. Längst haben sie sich aus den heißen Zonen entfernt, es wird kalt und immer kälter, und schließlich müssen sie die Hoffnung aufgeben, dieses riesige neue Land, das auf dem Wege nach Indien sich wie ein ungeheurer Querbalken in den Weg stellt, zu umfahren. Aber von dieser Fahrt,die immerhin eine der kühnsten und großartigsten Fahrten ihrer Zeit darstellt, und von der
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