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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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Vespucci zumindest die Bücher
    , die unter seinem Namen gehen, geschrieben habe, und nur bezweifelt, ob er die darin beschriebenen Reisen auch tatsächlich gemacht, so sagt Magnaghi, Vespucci habe zwar Reisen gemacht, aber es sei sehr zweifelhaft, ob er selbst die Bücher in ihrer vorliegenden Form geschrieben. Nicht er hat sich also unwahrer Leistungen berühmt, sondern in seinem Namen ist Unfug getrieben und geschrieben worden. Wenn wir Vespucci darum richtig beurteilen wollen, so tun wir am besten, seine berühmten beiden gedruckten Schriften, den › Mundus Novus ‹ und die › Quatuor Navigationes ‹, beiseite zu legen und uns ausschließlich auf die drei Originalbriefe zu stützen, die von seinen Verteidigern ohne jede richtige Begründung als Fälschungen erklärt wurden.
    Diese These, daß man Vespucci für die unter seinem Namen umlaufenden Schriften nicht in vollem Umfange verantwortlich machen dürfe, wirkt zunächst verblüffend. Denn was bleibt von Vespuccis Ruhm, wenn nicht einmal diese Bücher von ihm verfaßt sind? Aber bei genauerem Hinblicken erweist sich Magnaghis These als gar nicht so neu. In Wirklichkeit ist der Verdacht, daß die Fälschung jener ersten Reise nicht von Vespucci,sondern an Vespucci begangen wurde, so alt wie die erste Anschuldigung selbst. Man erinnert sich, daß es der Bischof Las Casas war, der als erster Vespucci bezichtigte, durch eine vorgetäuschte, in Wirklichkeit aber nie stattgefundene Reise den Namen Amerika an sich gerissen zu haben. Er beschuldigte ihn einer »großen Infamie«, eines »raffinierten Betrugs« und einer groben Ungerechtigkeit. Aber wenn man näher auf seinen Text blickt, so begegnet man bei allen diesen heftigen Anwürfen immer einer reservatio mentalis . Las Casas brandmarkt zwar den Betrug, aber er schreibt vorsichtigerweise immer von einem Betrug, den Vespucci »oder jene begangen, die seine Quatuor Navigationes veröffentlichten«. Er läßt also die Möglichkeit offen, daß die falsche Einschätzung Vespuccis ohne seine Teilnahme entstanden sei. Ebenso hatte Humboldt, der nicht wie die Fachtheoretiker in einem gedruckten Buch schon das Evangelium der Wahrheit erblickte, deutlich den Zweifel einfließen lassen, ob nicht Vespucci in diese ganze Kontroverse geraten sei wie Pontius ins Credo. »Haben nicht vielleicht Sammler von Reisebeschreibungen«, fragt er, »diesen Betrug ohne Wissen des Amerigo begangen, oder ist er vielleicht nur eine Folge verworrener Darstellung und ungenauer Angaben?«
    Der Schlüssel war also schon geschmiedet, Magnaghi hat nur damit die Tür zu einem neuen Ausblick geöffnet. Seine Erklärung scheint mir logisch die bisher einleuchtendste, weil sie allein alle die Widersprüche, die drei Jahrhunderte beschäftigten,in völlig natürlicher Weise löst. Von Anfang an war psychologische Unwahrscheinlichkeit darin gelegen, daß ebenderselbe Mann in einem Buche eine Reise von 1497 einfach erfand und gleichzeitig in einem handschriftlichen Brief diese Reise ins Jahr 1499 verlegte, oder daß er nach Florenz an zwei verschiedene Leute jenes engen Kreises, in dem doch Briefe von Hand zu Hand gingen, seine Reisen mit verschiedenen Daten und widersprechenden Einzelheiten geschickt haben sollte. Unwahrscheinlich war es ferner, daß ein Mann, der in Lissabon lebte, diese Berichte gerade an einen Duodezfürsten in Lothringen übersandt haben würde und sein Opus in einem so weltabgelegenen Städtchen wie St-Dié in Druck gehen ließ. Hätte er selbst seine »Werke« herausgegeben oder herausgeben wollen, so hätte er sich doch zum mindesten der kleinen Mühe unterzogen, die allerkrassesten der ins Auge springenden Unstimmigkeiten vor dem » Imprimatur « zu beseitigen. Ist es zum Beispiel denkbar, daß Vespucci selber in seinem › Mundus Novus ‹ in feierlichem Ton – der so gänzlich von seinen handschriftlichen Briefen absticht – an Lorenzo di Medici berichtet hätte, er nenne diese Reise seine dritte Reise, »denn vorher gingen schon zwei andere Reisen, die ich im Auftrag des erlauchten Königs von Spanien nach Westen unternommen habe«. ( Vostra Magnificenza saprà come per commissione de questo Rè d' Ispagna mi partì .) Denn wem teilt er diese erstaunliche Neuigkeit mit, daß er schon vorher zwei Reisen unternommen habe? Dochdem Chef seiner Firma, dessen Angestellter und Korrespondent er seit zehn Jahren gewesen, der also auf Tag und Stunde wissen mußte, ob und wann sein Faktor jahrelange Reisen unternommen, und in
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