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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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jemand anderer aus einer Reise zwei fabriziert hat, und daß der Anspruch, als erster das amerikanische Festland betreten zu haben, frech – und dazu noch ungeschickt – erschwindelt ist. Las Casas' grimmiger Verdacht ist jetzt unwiderleglich wahrgemacht. Diejenigen, die Vespucci als wahrheitsliebenden Mann retten wollen – seine rabiatesten Verteidiger und seine Landsleute in der » Raccolta Columbiana « –, haben keinen anderen Ausweg mehr als den letzten und verzweifeltsten:diesen Brief als eine nachträgliche Fälschung zu erklären.
    Wir gewinnen also von den Florentiner Dokumenten abermals das uns schon vertraute Doppelbild von Vespucci, dem ewigen Zwielichtmann: einerseits einen Mann, der in seinen privaten Briefen redlich und bescheiden an seinen Geschäftsherrn Lorenzo di Medici den richtigen Tatbestand berichtet. Und einen zweiten Vespucci der gedruckten Bücher, den Mann des großen Ruhms und des großen Ärgernisses, der sich lügnerisch Entdeckungen und Reisen berühmt, die er nie gemacht hat, und der durch diese Großsprecherei erreichte, daß ein ganzer Erdteil mit seinem Namen getauft wurde. Je weiter der Knäuel der Irrtümer durch die Zeit rollt, um so mehr verwickelt er sich.
     
    Und sonderbar: genau, aber genau dieselbe Divergenz der Tatsachen ergeben die spanischen Dokumente. Man erfährt aus ihnen, daß Vespucci 1492 nicht als großer Gelehrter, nicht als vielgereister Seemann nach Sevilla gekommen, sondern als unbeträchtlicher Angestellter, als » factor « des Kaufhauses Juanoto Beraldi, das eine Art Filiale der Medici-Bank in Florenz war und sich meist mit Ausrüstung von Schiffen und Finanzierung von Expeditionen befaßte. Das stimmt zunächst übel zum Nimbus, daß Vespucci als Führer verwegener Entdeckungsfahrten schon 1497 von Spanien ausgefahren sei. Und noch schlimmer: von dieser angeblichen ersten Reise, mit der erColumbus in der Entdeckung des Festlands zuvorgekommen wäre, findet sich in allen Dokumenten nicht die geringste Spur, und somit ist beinahe sicher, daß er im Jahre 1497, statt wie in seinen › Quatuor Navigationes ‹ behauptet ist, die Küsten Amerikas zu erforschen, in Wirklichkeit als emsiger Kaufmann in seinem Kontor in Sevilla gesessen hat.
    Wiederum scheinen jetzt alle Anschuldigungen gegen Vespucci dokumentarisch gerechtfertigt. Aber sonderbar: in denselben spanischen Akten finden sich gleichzeitig Beweise, die ebenso überzeugend für Vespuccis Rechtschaffenheit sprechen, wie die andern für freche Großsprecherei. Da ist eine Naturalisierungsurkunde, die Amerigo de Vespucci am 24. April 1505 zum spanischen Bürger macht »für die guten Dienste, die er der Krone erwiesen und die er ihr noch erweisen wird«. Da ist am 22. März 1508 die Ernennung zum » piloto mayor « der Casa de Contratación, zum Leiter des ganzen nautischen Dienstes in Spanien, die ihn anweist, »die Steuermänner im Gebrauch der Meßinstrumente, des Astrolabiums und der Quadranten zu instruieren und sie zu prüfen, ob sie die Theorie gehörig mit der Praxis zu verbinden wüßten«, da ist der königliche Auftrag, einen » padrón real «, eine Weltkarte, anzufertigen, welche in endgültiger Weise alle neuentdeckten Küsten verzeichnen solle, und die von ihm beständig ergänzt und verbessert werden soll. Ist es nun denkbar, daß die spanische Krone, die doch über die ausgezeichnetsten Seeleute derZeit verfügte, zu einem so verantwortungsvollen Posten jemanden berufen würde, der durch Aufschneidereien und Bücher über erfundene Fahrten jeder moralischen Verläßlichkeit entbehrte? Ist es wahrscheinlich, daß der Nachbarkönig von Portugal gerade diesen Mann eigens in sein Land berufen würde, um zwei Flotten nach Südamerika zu begleiten, wenn sich nicht Vespucci schon vordem einen besonderen Ruf als nautischer Fachmann erworben hätte? Und ist es nicht ein Zeugnis für seine Rechtschaffenheit, wenn Juanoto Beraldi, in dessen Hause er durch Jahre gearbeitet hat, und der demnach das beste Urteil über seine menschliche Verläßlichkeit haben müßte, auf dem Totenbett just ihn als Exekutor seines Testaments und Liquidator seiner Firma einsetzt? Abermals begegnen wir demselben Kontrast: wo immer eine Urkunde über das Leben Vespuccis vorliegt, rühmt sie ihn als ehrlichen, verläßlichen, kenntnisreichen Mann. Und wo immer wir eine Druckschrift von ihm zur Hand nehmen, finden wir Großsprecherei, Unwahrheiten und Unwahrscheinlichkeiten.
    Aber kann man nicht ein trefflicher Seefahrer
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