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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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verkündete, eine fünfte Reise des Vespucci entdeckt zu haben.
    Es kann also wenig Zweifel bestehen – und dies klärt die bisher verworrene Situation –, daß jener erfundene Bericht über die erste Reise und alle anderen Unstimmigkeiten, um derentwillen Vespucci so lange Zeit eines bewußten Betruges bezichtigt wurde, gar nicht auf seine Rechnung zu schreiben sind, sondern auf die skrupelloser Herausgeber und Drucker, die, ohne ihn um Verstattung zu fragen, Vespuccis private Reiseberichte mit allerhand erlogenen Zutaten aufplusterten und dann in dieser Form in Druck gaben. Aber gegen diese Auffassung, welche die Sachlage eindeutig klärt, erheben seine Widersacher noch einen letzten Einwand. Warum, fragen sie, hat Vespucci, der doch vor seinem Tode 1512 von diesen Büchern gehört haben mußte, die ihm unter seinem Namen eine Reise, die er nie gemacht hatte, zuschrieben, niemals gegen diese Zuschreibung öffentlich protestiert? Wäre es nicht seine erste Pflicht gewesen, fragen sie, ein klares: »Nein, ich bin nicht der Entdecker Amerikas gewesen, und dieses Land führt meinen Namen zu Unrecht« in die Welt zu werfen? Macht sich derjenige nicht selbst mitschuldig an einem Betrug, welcher gegen einen Betrug, weil er für ihn vorteilhaft ist, keinen Protest erhebt?
    Dieser Einwand wirkt auf den ersten Blick überzeugend. Aber wo, muß man fragen, hätteVespucci protestieren können? Bei welcher Instanz Einspruch erheben? Jene Zeit kannte nicht den Begriff des literarischen Eigentums; alles Gedruckte und alles Geschriebene gehörte allen, und jeder konnte eines anderen Namen und Werk benützen, wie es ihm beliebte. Wo konnte Albrecht Dürer protestieren, daß Dutzende von Kupferstechern seine marktgängige Signatur »A.D.« auf ihre eigenen Machwerke setzten, wo die Autoren des ersten ›König Lear‹ oder des ›Urhamlet‹, daß Shakespeare ihre Stücke genommen und willkürlich verändert? Wo wiederum Shakespeare, daß fremde Stücke unter seinem Namen erschienen? Wo noch Voltaire, daß, wer immer sein mittelmäßiges atheistisches oder philosophisches Pamphlet gelesen haben wollte, es unter seinem weltberühmten Namen drucken ließ? In welcher Weise hätte also Vespucci vorgehen können gegen die Dutzende und Aberdutzende Ausgaben der Sammelwerke, die alle seinen unberechtigten Ruhm in immer neu entstellten Texten durch die Welt schleppten? Das einzige, was Vespucci möglich war, blieb, von Mund zu Mund in seinem persönlichen Kreise seine Schuldlosigkeit darzutun.
    Daß er dies aber getan hat, steht außer Frage. Denn 1508 oder 1509 mußten zum mindesten einzelne Exemplare jener Bücher nach Spanien gelangt sein. Ist es nun denkbar, daß der König jemanden, der falsche Berichte über Entdeckungen veröffentlicht, gerade zu der verantwortlichen Stellung ausgewählt hätte, seine Piloten anzuhalten, genaue und verläßliche Berichte abzufassen,wenn dieser Mann nicht vorher persönlich sich von jedem Verdacht hätte befreien können? Und mehr noch. Einer der ersten Besitzer der › Cosmographiae Introductio ‹ in Spanien war nachgewiesenermaßen (das Exemplar mit seinen Eintragungen ist noch heute erhalten) Fernando Colombo, der Sohn des Admirals. Er hat das Buch, in dem gegen alle Wahrheit behauptet wurde, Vespucci habe vor Columbus das Festland betreten, nicht nur gelesen, sondern auch mit Anmerkungen versehen, eben jenes Buch, in dem zum erstenmal vorgeschlagen wird, das neue Land Amerika zu benennen. Aber sonderbar: während Fernando Colombo in der Biographie seines Vaters alle möglichen Männer als Neider seines Vaters angreift, gedenkt er Vespuccis nicht mit einem einzigen unfreundlichen Wort. Schon Las Casas hat sich über dieses Schweigen gewundert. »Ich bin überrascht«, schreibt er, »daß Don Hernando Colón, der Sohn des Admirals und ein Mann von gutem Urteil, der, wie ich weiß, diese › Navigationes ‹ Amerigos in seinem Besitz hatte, keinerlei Notiz nahm von dem Unrecht und der Usurpierung, die Amerigo Vespucci an seinem erlauchten Vater beging.« Aber nichts spricht deutlicher für die Unschuld Vespuccis als das Schweigen des Sohnes über jene unglückliche Zuschreibung, die seinem Vater den Ruhm entwendet, die von ihm entdeckte Welt mit seinem Namen benannt zu sehen: er mußte wissen, daß sie ohne Kenntnis und ohne Willen Vespuccis entstanden war.
    Es wurde hier versucht, mit möglichster Objektivität die » Causa Vespucci «, die durch so viele Instanzen gegangen, chronologisch in
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