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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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ihrem Ursprung und allen ihren Weiterungen zu erzählen. Die Hauptschwierigkeit, die zu lösen war, bestand in der merkwürdigen Unstimmigkeit zwischen einem Mann und seinem Ruhme, zwischen einem Menschen und seinem Namen. Denn die faktische Leistung Vespuccis entspricht, wie wir wissen, nicht seinem Ruhm und der Ruhm nicht seiner Leistung. Zwischen dem Mann, der er war, und dem Mann, als der er der Welt erschien, bestand ein so schroffer Gegensatz, daß die beiden Bilder, das Lebensbild und das literarische Bild, nicht zu vereinen waren. Erst sobald wir uns klarmachen, daß sein Ruhm ein Fabrikat fremder Einmengungen und krauser Zufälle gewesen, wird es möglich, seine wirkliche Leistung und sein Leben als eine Einheit zu betrachten und in natürlichem Zusammenhang zu erzählen.
    Und so ergibt sich das bescheidenere Resultat neben einem unermeßlichen Ruhm, daß das Leben dieses Mannes, der wie wenige die Bewunderung und den Unwillen der Welt erregt hat, in Wirklichkeit weder ein großes noch ein dramatisches gewesen. Es ist nicht die Biographie eines Helden und nicht die eines Betrügers, sondern nur eine Komödie des Zufalls, in die er ahnungslos verwickelt wird. Amerigo Vespucci ist als der dritte Sohn des Notars Cernastasio Vespucci am 9. Mai 1451, also hundertdreißig Jahre nach Dantes Tod, in Florenz geboren. Er stammt aus einerangesehenen, wenn auch verarmten Familie und genießt die in jenen Kreisen übliche humanistische Ausbildung der Frührenaissance. Er lernt Latein, freilich ohne es jemals in literarischen Formen zu beherrschen, er erwirbt sich bei seinem Oheim Fra Giorgio Vespucci, einem Dominikanermönch von San Marco, gewisse wissenschaftliche Kenntnisse, Mathematik und Astronomie. Nichts deutet bei dem jungen Manne auf besondere Begabungen oder Ambitionen hin. Während seine Brüder die Universität besuchen, begnügt er sich mit einer kaufmännischen Anstellung im Bankhaus der Medici, das zur Zeit unter der Führung des Lorenzo Piero di Medici steht (der nicht mit seinem Vater Lorenzo il Magnifico verwechselt werden darf). Amerigo Vespucci hat also in Florenz nicht als großer Mann gegolten und noch weniger als ein großer Gelehrter. Die von ihm erhaltenen Briefe an Freunde zeigen ihn mit kleinlichen Geschäften und belanglosen Privatangelegenheiten beschäftigt. Auch im kommerziellen Sinn scheint er es im Hause der Medici nicht weit gebracht zu haben, und nur ein Zufall bringt ihn nach Spanien. Die Medici haben ebenso wie die Welser, die Fugger und die anderen deutschen und flämischen Kaufleute in Spanien und Lissabon ihre Filialen. Sie finanzieren die Expeditionen in die neuen Länder, sie suchen Informationen zu erlangen und vor allem ihre Gelder an jener Stelle zu investieren, wo sie zur Zeit am dringendsten gebraucht werden. Nun scheint im Kontor der Medici in Sevilla ein Angestellter Unregelmäßigkeitenmit Geldern begangen zu haben, und da Vespucci ihnen – wie jedem andern im Lauf seiner Lebensgeschichte – als besonders rechtschaffener und verläßlicher Mann erscheint, senden sie diesen ihren kleinen Angestellten am 14. Mai 1491 nach Spanien, wo er in das Filialhaus der Medici-Firma, in das Kaufhaus Juanoto Beraldi eintritt. Auch im Hause Beraldis, der sich hauptsächlich mit der Ausrüstung von Schiffen beschäftigt, ist seine Stellung eine durchaus untergeordnete. Er ist, obwohl er sich in seinen Briefen » Merciante fiorentino « nennt, keineswegs selbständiger Kaufmann mit eigenem Kapital und Wirkungskreis, sondern nur der »factor« Beraldis, der selbst wiederum nur dem Wirkungskreise der Medicis beigeordnet ist. Aber wenn auch keine hohe Position, so erwirbt sich Vespucci doch das persönliche Vertrauen und sogar die Freundschaft seines Vorgesetzten. Als Beraldi im Jahre 1495 dem Todenaheist, ernennt er in seinem Testament Amerigo Vespucci zum Vollstrecker seines letzten Willens, und ihm fällt dann die Aufgabe zu, nach dem Tode Beraldis die Firma zu liquidieren.
    Damit steht, nahe seinem fünfzigsten Jahre, Amerigo Vespucci plötzlich wieder mit leeren Händen da. Anscheinend fehlt ihm entweder das Kapital oder die Neigung, das Geschäft Beraldis auf eigene Rechnung weiterzuführen. Was er in diesen nächsten Jahren 1497 und 1498 in Sevilla getan hat, vermögen wir heute nicht mehr festzustellen, denn es fehlen jegliche Dokumente. Keinesfalls – dies bezeugt auch der spätere Brief desColumbus – ist es ihm sonderlich gut gegangen, und dieser Mißerfolg erklärt die
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