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América

América

Titel: América
Autoren: T.C. Boyle
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Mülleimer auskippten oder zielstrebig die makellosen Rasenflächen von Arroyo Blanco Estates zweimal wöchentlich mit Rechen und Gebläse pflegten. Wo kamen die nur alle her? Was wollten sie? Und warum mußten sie sich vor die Räder seines Autos werfen?
    Er öffnete die Hecktür und warf die fest verschnürten Papierbündel auf den nächstgelegenen Stapel, als ein schriller, durchdringender Pfeifton den Lärm der Maschinen, leerlaufenden Motoren, zuknallenden Türen und Kofferraumhauben übertönte. Delaney blickte auf. Ein Gabelstapler war herangefahren, und der Mann, der ihn steuerte, machte ihm irgendein Zeichen, das Gesicht unter dem Rand seines gelben Schutzhelms verborgen. Er sagte etwas, das Delaney nicht recht hörte. »Was?« schrie er durch den Lärm der Lagerhalle.
    Ein heißer Windstoß blies durch den Eingang und wirbelte Staub auf. Prospekte und Sonntagsbeilagen flogen durch die Luft: Parade, Holiday, Zehn Ausflugsideen fürs Wochenende. Motoren brummten, Männer brüllten, Gabelstapler hupten und spotzten. Der Mann sah von seinem Sitz auf ihn herab; die glänzenden, blankgewetzten Arme des Fahrzeugs gaben unter der Ladung aus Zeitungen nach, als würden sie es nicht schaffen, als müßten selbst Blech und Stahl unter der Last all dieser Nachrichten schlappmachen.
    »Ponlos allá«, sagte der Arbeiter und zeigte in die andere Ecke des Gebäudes.
    Delaney starrte zu ihm auf, die Arme voller Papier. »Was?« wiederholte er.
    Eine Weile blieb der Mann einfach still sitzen und starrte zurück. Ein zweiter Wagen fuhr herein. Eine Taube schoß aus dem Dach herab, und Delaney sah, daß dort oben, in der hohen, offenen zweistöckigen Balkenkonstruktion, Dutzende von Tauben saßen. Der Mann mit dem Helm beugte sich vor und spuckte wohlüberlegt auf den Boden. Dann setzte der Gabelstapler ohne jede Vorwarnung abrupt zurück, drehte sich um die eigene Achse und verschwand zwischen den Bergen aus Altpapier.
    »Und was haben Sie da überfahren - ein Reh? Einen Coyoten?«
    Delaney stand im Ausstellungsraum der Acura-Vertretung, in diesem großen, häßlichen, zinnenbewehrten Quader, den er immer gehaßt hatte - es fügte sich nicht in die Hügellandschaft, nicht einmal ansatzweise, überhaupt nicht -, heute aber fühlte er sich hier seltsam behaglich. Als er mit dem gesprungenen Scheinwerferglas und der herausgerissenen Blinkerkappe auf das Gelände zufuhr, schien es ihm eine Bastion des Vertrauten und Geregelten, wo Verhandlungen in der gewohnten Weise geführt wurden, auf Stühlen mit hohen Lehnen und mit Verträgen, Scheckbüchern und Bilanzen. Hier gab es Schreibtische und Telefone, die Luft war kühl, der Fußboden blitzblank. Und die Autos selbst - stählern und unangreifbar, so neu, daß sie nur nach Wachs, Gummi und Kunststoff rochen - kamen ihm vor wie heilsame Geister, die wie schweres Mobiliar in dem höhlenartigen Raum verteilt waren. Er saß auf der Ecke von Kenny Grissoms Schreibtisch, und Kenny Grissom, der überdrehte, mondgesichtige fünfunddreißigjährige Bursche, der ihm den Wagen verkauft hatte, bemühte sich um einen betroffenen Gesichtsausdruck.
    Delaney zuckte die Achseln, griff bereits nach dem Telefon. »Muß ein Hund gewesen sein. Vielleicht auch ein Coyote, aber dafür war's eigentlich zu groß. Eher ein Hund. Ja, sicher, bestimmt. Ein Hund.«
    Warum log er eigentlich? Warum mußte er ständig an alte Schwarzweißfilme denken, in denen Männer mit zerknitterten Hüten sich vorbeugten, um sich die Zigaretten anzuzünden, und einen Fall von Fahrerflucht mit Hilfe von winzigen Lackspuren aufklärten - oder durch ein gesprungenes Scheinwerferglas? Weil er Vorsichtsmaßnahmen traf, deshalb. Weil er dieses arme Schwein am Straßenrand zurückgelassen, im Stich gelassen hatte, und weil er froh darüber gewesen war, erleichtert, daß er sich mit den zwanzig Dollar Blutgeld hatte freikaufen können. Aber wie paßte das in sein liberal-humanistisches Konzept?
    »Ich hab auch mal 'nen Hund überfahren«, bot Kenny Grissom gesprächsweise an, »damals in Arizona. So ein riesiges graues Zottelvieh, muß wohl ein Hirtenhund oder so was gewesen sein. Bin damals einen von diesen Pickups gefahren, so einen Ford-Halbtonner mit einer Achtlitermaschine, und meine Freundin saß mit drin. Den Hund hab ich nicht mal gesehen - eben noch fahr ich zügig dahin, und im nächsten Moment ist Kim in Tränen aufgelöst, und im Rückspiegel seh ich mitten auf der Fahrbahn so 'n Ding liegen, das aussieht wie ein alter
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