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América

América

Titel: América
Autoren: T.C. Boyle
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Teppich. Keine Ahnung, was passiert ist. Ich setz also zurück, da kommt das Vieh wieder auf die Beine, aber es hat bloß drei - und ich denk mir: Ach, du Scheiße, hab ich dem doch glatt das Bein abgerissen, aber dann steigt Kim aus, und wir sehen uns die Sache näher an, und nirgendwo ist Blut oder so, nur dieser Stumpf.«
    In Kennys Gesicht zuckte es, als säße etwas unter der Haut und versuchte krampfhaft freizukommen. »Der blöde Köter hatte nur drei Beine, von Anfang an«, rief er plötzlich aus, »kein Wunder, daß er nicht schnell genug von der Straße kam!« Sein Lachen gellte durch den riesigen, hohen Raum, das Lachen eines Verkäufers, allzu kantig und selbstzufrieden. Gleich darauf paßte sich seine Miene wieder der Situation an, plötzlich sachlich und gefaßt um die hellen, rötlich-braunen Quasten seines Schnurrbarts organisiert. »Aber man fühlt sich höllisch mies, ich weiß«, bemerkte er in einer Art Jodler. »Keine Sorge, Ihren Wagen kriegen wir wieder hin, der wird so gut wie neu. Sie können gerne telefonieren.«
    Delaney nickte nur. Er hatte Kyras Büroanschluß gewählt und hörte schon den Klingelton.
    »Hallo?« Ihre Stimme klang hell, kräftig, direkt bei ihm.
    »Ich bin's, Schatz.«
    »Was ist passiert? Wegen Jordan? Ist Jordan etwas zugestoßen?«
    Delaney atmete tief durch. Mit einem Mal fühlte er sich gekränkt und ausgenutzt, bereit, alles heraussprudeln zu lassen. »Ich hab einen Unfall gehabt.«
    Jetzt war sie an der Reihe: sie holte tief Luft, die Stimme blieb ihr in der Kehle stecken. »Ist Jordan verletzt? Sag mir gleich das Schlimmste, sofort! Was ist los? Ich halte das nicht aus.«
    »Niemand ist verletzt, Schatz, alles ist in Ordnung. Und Jordan hab ich noch gar nicht abgeholt.«
    Eine dumpfe Stille, das Klicken von Zählern, das Flackern von Synapsen. »Ist dir was passiert? Wo bist du?«
    »In der Acura-Vertretung. Sie reparieren mir gerade den Scheinwerfer.« Er sah sich um und senkte die Stimme, obwohl Kenny Grissom nirgends zu sehen war. »Ich habe einen Mann angefahren.«
    »Einen Mann angefahren?« In ihrer Stimme loderte Zorn auf. »Was redest du da?«
    »Einen Mexikaner. Jedenfalls glaube ich, daß er Mexikaner war. Auf der Cañyonstraße. Ich wollte gerade zum Recyclingzentrum fahren.«
    »Du liebe Zeit. Hast du schon Jack angerufen?«
    Jack war Jack Jardine, ihr Freund, Nachbar, Berater und Anwalt, zugleich auch Vorsitzender der Eigentümergemeinschaft von Arroyo Blanco Estates. »Nein -« Delaney seufzte, »ich bin ja gerade erst gekommen, und ich wollte es dir sagen ... wollte, daß du es weißt ...«
    »Was denkst du dir eigentlich? Hast du den Verstand verloren? Kannst du dir überhaupt vorstellen, wieviel Schmerzensgeld einer von diesen Winkeladvokaten aus uns rausschlagen kann, wenn er so eine Geschichte in die Klauen kriegt? Du hast jemanden angefahren? War er verletzt? Hast du ihn ins Krankenhaus gefahren? Unsere Versicherung verständigt?«
    Delaney bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. Kyra war reizbar, explosiv, ihr Nervensystem stand derart unter Strom, daß sie ständig knapp vor der Überbelastung war, selbst wenn sie schlief. Belanglosigkeiten gab es in ihrem Leben nicht. »Nein, hör zu, Kyra: mit dem Mann ist alles in Ordnung. Ich meine, er hatte nur ... ein paar Schrammen, sonst nichts. Er ist verschwunden, er ist weggegangen. Ich habe ihm zwanzig Dollar gegeben.«
    »Zwanzig ...«
    Und dann, ehe die Worte in seinem Mund zu Asche werden konnten, war es heraus: »Ich sage dir doch - es war ein Mexikaner.«

2
    Er wußte, was Kopfschmerzen waren - sein ganzes Leben war ein einziger Kopfschmerz, sein ganzes stinkendes, wertloses pinche vida -, aber das hier war anders. Es fühlte sich an, als wäre in seinem Kopf eine Bombe explodiert, eine dieser fetten Atombomben, wie sie sie auf die Japaner abgeworfen hatten, und die wabernde schwarze Pilzwolke preßte und drückte gegen seinen Schädel, drohte ihn zu zersprengen, quetschte ihn unerbittlich zusammen, immer fester und fester und fester. Aber das war noch nicht alles - auch in seinem Magen rumorte es, und er sank auf Hände und Knie und kotzte in die Büsche, auf halbem Wege zum Camp in der Schlucht. Das Frühstück kam ihm hoch - zwei hartgekochte Eier, eine halbe Tasse von der aufgewärmten dünnen Pisse, die als Kaffee durchging, und eine Tortilla, die ihm am Stock über dem Feuer versehentlich angebrannt war -, alles, jedes Klümpchen, jeder Brocken, und dann kotzte er gleich noch mal. Er
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