Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein

Titel: Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Autoren: Elizabeth Peters
Vom Netzwerk:
Meinung sein sollten, der wissenschaftlichen Welt einige Hintergrundinformationen schuldig zu sein, so können sie tun, was ihnen beliebt. Bis dahin jedoch werden nur meine Augen diese Zeilen zu Gesicht bekommen.
    Sie, verehrter Leser, werden jetzt natürlich fragen, weshalb ich mich dann an Sie wende. Die Antwort ist sehr einfach: Für mich als Autor ist es wesentlich inspirierender, mich an ein Publikum zu wenden, als Selbstgespräche zu führen. Nachdem ich nun auch diesen Punkt geklärt habe, möchte ich wieder zu meinen Aufzeichnungen zurückkehren.
    Wenn ich sage, daß Emerson mich vom Stuhl gerissen hat, dann muß ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, hinzufügen, daß es im umgekehrten Fall genauso gewesen ist. Am Schönheitsideal gemessen, bin ich nicht eigentlich hübsch zu nennen, doch zu meinem Glück hat Emerson auch in dieser Beziehung einen sehr ausgeprägten, ausgefallenen Geschmack. Mein dunkler, aber etwas blasser Teint ist in seinen Augen honigfarben, und mein dickes nachtschwarzes Haar, das sich weder durch Kämme noch Spangen bändigen läßt, verführt ihn immer wieder zum Streicheln. Aber die Bemerkungen, die er über meine schlanke, an gewissen Stellen jedoch wohlgerundete Figur gemacht hat, möchte ich nicht einmal an dieser Stelle wiedergeben.
    Emerson dagegen ist in jeder Beziehung ein gutaussehender Mann. Er ist fast zwei Meter groß und hat sich dank seiner harten Arbeit an der frischen Luft eine jugendlich straffe Figur erhalten. Die Haut seiner muskulösen Arme und des faltigen Gesichts ist von der ägyptischen Sonne gebräunt und bildet einen lebhaften Gegensatz zu seinen strahlendblauen Augen. Nachdem er sich auf meine dringenden Bitten hin den Bart abgenommen hatte, kam ein hübsches Grübchen an seinem Kinn zum Vorschein, das mir mindestens so gut gefällt wie seine pechschwarzen, dichten Haare, die im Sonnenlicht einen rötlichen Schimmer bekommen.
    Doch jetzt genug davon. Es genügt, wenn ich sage, daß die ersten Jahre unserer Ehe genau meinen Erwartungen entsprachen. Die Wintermonate verbrachten wir in Ägypten, wo wir tagsüber Grabungen leiteten und uns nachts oft in die herrliche Abgeschiedenheit eines leeren Grabes zurückzogen. Während des Sommers lebten wir in England bei Emersons Bruder Walter, der ein angesehener Sprachwissenschaftler war und außerdem der Ehemann meiner Freundin Evelyn. Alles war perfekt mit Ausnahme einer Kleinigkeit. Bis heute ist mir unklar, wie ich, die ich normalerweise praktisch veranlagt bin und vorausschauend plane, übersehen konnte, daß das eheliche Leben zuweilen Folgen hat. Ich spreche, wie wohl jedem klar ist, von einer Schwangerschaft.
    Als sich die ersten Zeichen des neuen Zustandes bemerkbar machten, war ich nicht sonderlich beunruhigt, denn nach meinen Berechnungen würde das Kind nicht vor dem Sommer zur Welt kommen, so daß ich die Grabungsarbeiten dieser Saison abschließen und nach der Geburt im Herbst wieder nach Ägypten zurückkehren konnte. Alles verlief, wie ich es vorausberechnet hatte. Wir tauften den kleinen Jungen auf den Namen Walter und überließen ihn der Obhut von Onkel und Tante, als wir im Oktober wieder nach Ägypten zurückkehrten.
    Was dann folgte, war nicht allein die Schuld des Kindes. Ich hatte nicht ahnen können, daß das erste Wiedersehen im darauffolgenden Frühling so fatale Folgen für Emerson haben würde. Er verfiel in die Babysprache und weigerte sich standhaft, auch nur eine einzige Sekunde von seinem Sohn getrennt zu sein. Und Ramses, wie der kleine Kerl mittlerweile genannt wurde, machte seinem Spitznamen alle Ehre: Er äußerte sehr gebieterische Wünsche und legte ein starkes Durchsetzungsvermögen an den Tag, ebenso herrisch, wie der mächtigste der ägyptischen Pharaonen gewesen sein mußte. Außerdem war es ausgesprochen frühreif. Diese Vermutung wurde von einer Dame meiner Bekanntschaft geäußert, der der damals vierjährige Ramses eine weitreichende Lektion im Ausgraben eines Komposthaufens erteilt hatte – ihres eigenen natürlich, wobei anzumerken ist, daß ihr Gärtner wirklich sehr untüchtig war. Als ich widersprach, weil ich das Adjektiv unpassend fand, glaubte sie, ich sei beleidigt. Aber meiner Meinung nach hätte sie >katastrophal frühreif< sagen sollen.
    Abgesehen von der hingebungsvollen Liebe zu seinem Sohn litt Emerson beträchtlich unter dem trostlosen Klima in England. Ich meine, nicht so sehr unter den meteorologischen Bedingungen als vielmehr unter der Eintönigkeit des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher