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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman
Autoren: E. O. Wilson
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wusste, wo in diesem Teil des Tracts Schneisen durchs Unterholz verliefen und wie man das Gewirr halb zersetzter umgestürzter Bäume umgehen konnte. Als er das Unterholz des Laubwalds hinter sich ließ und in das offenere Gelände der Kiefersavanne gelangte, war er fast hundert Meter voraus, und weil er jetzt im Grunde geradeaus laufen konnte, vergrößerte er den Abstand noch weiter. Als seine Verfolger das offene Gelände erreichten, konnten sie ihn kaum noch ausmachen.
    Kurz darauf bemerkte Raff, dass die Männer sich aufteilten und sich gegenseitig Anweisungen zuriefen. Zuerst dachte er, sie hätten ihn verloren und versuchten, ihn wieder zu orten. Dann aber ging ihm die furchtbare Wahrheit auf: Die drei wussten, wo er war, zumindest ungefähr. Und im Vorteil waren sie und nicht er. LeBow und seine Männer waren zweifellos erfahrene Jäger. Sie riefen nicht nur, um zu kommunizieren. Sie teilten das Gelände ein und trieben ihre Beute in einen eingegrenzten Bezirk, den sie bestimmt hatten. Sie trieben ihn auf das Flussufer zu, als jagten sie ein Wildschwein. Wenn er weiter geradewegs auf das Ufer zulief, würden sie schließlich wieder zusammenfinden und die Schlinge zuziehen.
    Während er hastig weiterrannte, überlegte Raff verzweifelt,wie er sich aus der Falle befreien konnte. Er dachte daran, als Erster am Fluss zu sein und hineinzuspringen, aber er war kein besonders guter Schwimmer, und wenn er nicht ohnehin ertrank, stellte sein Kopf für Pistolenfeuer vom Ufer aus ein leichtes Ziel dar.
    Dann fiel ihm etwas ein. Aus den Stimmen seiner Verfolger schloss Raff, dass LeBow links von ihm lief. Er war ausreichend sicher, dass LeBow unbewaffnet war, und der Prediger war auch älter als die anderen und hatte auf Raff nicht besonders fit gewirkt. Wenn Raff schräg links abbog und noch ein bisschen an Tempo zulegte, könnte er LeBow noch vor dem Chicobee kreuzen und dann links am Flussufer vor ihnen allen herlaufen. Und wenn er nicht rechtzeitig am Ufer war, konnte er sich immer noch an LeBow vorbeikämpfen und weiter am Fluss entlangrennen, bevor die anderen zur Stelle wären.
    Er wandte sich nach links, und nach drei Minuten Zickzackkurs durch die sich hier ausdünnende Savanne und den lichten Baumbewuchs des Sekundärwaldes erreichte er schneller als erwartet das Flussufer. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig entschieden. Auch LeBow war fast da, aus nur knapp 30 Metern Abstand kam er schnell näher. Raff lief vor ihm vorbei, und der Prediger schwenkte direkt hinter ihm ein und brüllte den anderen zu, ihm zu folgen.
    Rechts von Raff lag jetzt der Fluss, und links die sumpfige Flussniederung, die er nur schlecht kannte. Er dachte daran, wieder in den Auwald einzubiegen und seine Verfolger dort möglichst abzuschütteln, doch er wusste, dass sie ihn aufspüren und wieder in die Enge treiben würden. Außerdem riskierte er, dort in einem der vielen Sumpflöcher stecken zu bleiben, die parallel zum Flussverliefen. Dann wäre er eine leichte Beute für das Pistolenfeuer, und alles wäre aus.
    Raffs einzige mögliche Rettung war es, am Fluss zu bleiben. Vielleicht traf er ja dort oder draußen auf dem Wasser irgendwelche Leute, dann würden LeBow und seine Kumpanen vielleicht von ihm ablassen, weil sie Zeugen fürchteten. Eine solche Gnadenfrist war aber nur eine sehr schwache Hoffnung. Dieser Abschnitt des Flusses, weitab von jeder Straße oder Anlegestelle, war eine der am wenigsten besuchten Stellen am gesamten Chicobee.
    Wo befand sich in diesem Teil des Chicobee, abgesehen von Anglerhütten, eigentlich das erste Haus? Ihm fiel nur Frogman ein, der Menschenfresser vom Chicobee. Sein Haus lag vielleicht drei Meilen entfernt von hier. Wenn Raff schnell genug so weit laufen konnte, hatte er eine Chance zu überleben. Vielleicht war es nur eine kleine. Frogman war grausam paranoid und vielleicht sogar klinisch unzurechnungsfähig. Doch all diese Gedanken schlug Raff sich aus dem Kopf – und rannte weiter.
    Irgendwo auf dem Weg bemerkte er, dass er nichts mehr von den drei Verfolgern gehört hatte, seit die Jagd am Flussufer begonnen hatte. Hatten sie aufgegeben? Waren sie zu weit zurückgefallen, um ihn einzuholen? Sie mussten ja denselben Hindernislauf mitmachen. Vielleicht konnte er kurz stehen bleiben, um durchzuschnaufen. Er hielt also an, halb verborgen hinter einem Zypressenstumpf. Schnell aber merkte er, dass das ein Fehler war. Zwei Pistolenschüsse – ganz aus der Nähe! – knallten, und Raff stolperte
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