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Ambient 05 - Elvissey

Ambient 05 - Elvissey

Titel: Ambient 05 - Elvissey
Autoren: Jack Womack
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Weltenallerlei.
    Old New York würde bald meerüberflutet sein, so wie Chicago ninivegleich durch tägliche Sandstürme zugedeckt wurde, so wie L. A. bald unter dem Gewicht seiner Jupiteratmosphäre ersticken würde. Moskau zerbröckelte, Lagos und Karatschi brannten wieder in nuklearem Feuer, Kairo und Bangkok und Brazzaville entvölkerten sich mit hundert Seelen pro Stunde. Doch genau wie Tokio, Berlin und London würde auch New New York bei Fertigstellung aussehen, wie alles in unserer Welt hätte aussehen sollen, wenn nicht so viele am Straßenrand stehengeblieben wären, um die Schäden zu begutachten, die frühere Zuschauer anrichteten.
    New New York würde eine Million beherbergen. Dieses Vorgefühl schrie unbestimmt, daß seine Bewohner ebenfalls rückangepaßt wurden, um Perfektion zu gewährleisten. Nach Meinung der Menschen in den Außenbezirken – in der Bowl, an der Küste und unten im riesigen Süddelta – wurden die New Yorker einer sehr vollständigen Reoptimierung unterzogen. Man stellte sie sich als Reflexionen vor, als Neuatlanter, die aus dem Wasser landwärts verpflanzt wurden. Ihr nasses Haar war so blond, wie meines wurde, und ihre feuchten Augen so blau, wie meine Kontaktlinsen vortäuschten. Wir, die wir hier lebten, kannten die Wahrheit; unsere Hügelstadt stellte nur neue Behälter für dieselben Exemplare zur Verfügung, die, wenn sie gepiekst wurden, immer noch rot bluteten und nicht zinnobergold.
    John und ich hatten eine Wohnung im fünfzigsten Stock des Concourse-Turms. Zwanzig weitere Familien lebten in unserem Gebäude. Wir traten auf den Gehsteig und beobachteten die leeren Einkaufswagen, die den gartengesäumten Boulevard hinabschossen, während ihre Neonwerbung die Dunkelheit wegbuchstabierte und Drycos Strahlgesicht vorn und hinten scheinwarf, das Zeichen des Wortes; jeder hörte das Wort. Unser Fahrer gaste taubblind mit roten Rücklichtern in die Nacht.
    »Wie lange?« fragte ich, während seine Meteoritenlichtspur verglomm.
    »Woche«, sagte John. »Er ist fixfertig. Laß uns aufliften, Iz.«
    Die Siebenmillionen von Old New York hätten hier hoch über den Hügeln bequem leben können. Fraglich: In New New York gab es keine Nichtreoptimierten mehr.
     
    Wir lagen in den separaten Welten unseres Betts. Johns breitweißer Rücken erhob sich linkswärts; seine Felsen schienen wie ein Eisberg, den ich niemals rechtzeitig umschiffen könnte. Er schauderte, vielleicht war seine eigene Kälte zu knochenkalt. Ich streichelte ihn, deckte uns mit unserer Trostdecke zu und versuchte ihn zu wärmen.
    »Schlafein«, brummte er. »Tiefmüde schlapp, Iz. Traumzeit ruft. Hörzu.«
    »Sprich mit mir, John«, sagte ich »Sprich.«
    »Schlafein, Iz«, wiederholte er. »Orte zu erreichen, Leute zu werden. Schlafein.«
    Ich drehte mich weg und sah zu den Deckenplatten hoch; sie bildeten einen unentzifferbaren Himmel, der zu nahe war, um trösten zu können. Wir lagen separat, doch im gleichen Bett, zusammen, doch getrennt, eins und geteilt. Ich wünschte, er wäre bei mir, und fürchtete, er würde es nie wieder sein. Das TVC im Wohnzimmer ging von selbst an. Es mußte dringend neu bechippt werden, aber dazu war eine Arbeitsperson nötig, also ließen wir es laufen, wie es wollte. Aus den Worten entnahm ich, daß ein Repräsentant einer Sekte der EK – das heißt, der Elvis-Kirche – predigte. Die Gemeinde riefe nach ihrem imaginierten Heiland und forderte ihn auf, von seiner Welt in unsere überzutreten.
    »E«, sangen sie und drangen hinaus und hinein in unsere Räume. »Rette uns, E!«
    Während ich dalag, horchte ich auf den Wind, der am Fenster scharrte. Dann hörte ich den Wind auf den Teppich fallen und auf einem Schuh landen. Ich drückte das Licht an und überschwemmte damit unser Zimmer, bis alles in einem bernsteinfarbenen Meer zu schweben schien. Eine Maus suchte Schutz unter meinem Kosmetiktisch.
    »John«, sagte ich und stieß ihn ohne größere Mühe an, als ich einen Berg angestoßen hätte. »Das Zimmer ist naturwild. Gehört und gesehen, präsent und registriert.«
    »Naturwild«, wiederholte er. »Zwei- oder vierfüßig?«
    »Wir sind tierverseucht«, sagte ich. »Eine Maus, unter dem Tisch. Geh, mach, bitte …«
    »Unberührbar, Iz«, sagte er. »Es ist Leben.«
    »Es wird sich vermehren«, sagte ich. »Du mußt es aufspüren und entsorgen, John, ich bitte!«
    Der Kopf der Maus kam zum Vorschein, sah aus wie eine Schuhspitze. Sie erstarrte, als wäre sie durch meinen
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