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Ambient 05 - Elvissey

Ambient 05 - Elvissey

Titel: Ambient 05 - Elvissey
Autoren: Jack Womack
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Blick gebannt. Ich rührte mich nicht, aber die Maus tat es, querlief durchs Zimmer und verschwand unter unserem Bett. Vollwach sprang ich hoch, worauf John bodenwärts rollte.
    »Gottheit, Iz …« Nach unterbrochener Schlaflosigkeit stand John mit klarem, wenn auch verstörtem Geist auf.
    »Entsorge es, John!« sagte ich. »Es wird sich sonst bei uns wärmen.«
    Er starrte bettwärts und überlegte meine Forderung, noch während ich sie stellte. »Unmachbar, Iz. Selbst mit Tierchen. Undenkbar …«
    »Eine Maus !« schrie ich, während ich auf der Matratze balancierte und auf Scharrgeräusche alarmiert war. »Versuch, John. Zeig ihm wofür.«
    Mein Mann stampfte mit seinem gesunden Fuß auf und ließ das Zimmer erzittern. Unser Eindringling schoß hervor, durch die Viertelmeterbreite zwischen Kosmetiktisch und Konsole. Ich kniete, griff einen meiner Schuhe, warf ihn und versperrte der Maus damit den einzigen Fluchtweg. Isoliert versuchte sie statt dessen die Glattflächen hochzukrabbeln, fand keinen Halt und rutschte immer wieder bodenwärts. Die winzigen Spreizfüße waren nicht größer als Ohrringe.
    »Mach einen Versuch und wirf sie hinaus, John«, schrie ich. »John, ich bitte! Ich will auf keinen Fall …«
    »Kann nicht denken. Kann nicht. Nein …« setzte er an. Dann beugte er sich mit unbeendetem Satz vor und krümmte sich bauchhaltend. Eine Nebenwirkung der Medikation war verzehnfachte Magenaktivität beim geringsten Anzeichen einer gewalthaften Reaktion. Wenn die Anzeichen anhielten, würde er physisch zerfressen werden, wie ich schon emotional zerfressen war.
    »Lebendes muß leben«, sagte er und gab seine gerade gelernten Lektionen wieder. »Leben erfordert einen Zweck. Muß leben. Muß …«
    »John …« schrie ich; mir war bewußt, was notwendig war, wenn Frieden sein sollte. Etwas hielt die Maus gegen jede Wahrscheinlichkeit am Leben. Ich hatte gehofft, sie würde exterminieren, aber sie tat es nicht. Johns Weißgesicht wurde totfahl, während sein Blut einwärts strömte und nach einem Ausweg suchte.
    »Iz«, sagte er, biß seine Zähne in die Lippen und rötete sie. »Ich kann nicht. Kannicht, kannicht, kannicht …«
    »Ich erledige«, sagte ich, stieg vom Bett und strich über sein feuchtes Haar. Er versuchte augenschließend seinen Geist zu leeren, wobei er sicher Bilder von Sonnenschein und Wiesen und anderem Niegesehenen visualisierte, um sich genügend wiederherzustellen und sich ohne Blutungen auszuruhen. Ich haßte ihn sosehr dafür, daß ich das Notwendige tun mußte, und drängte meine Eigenwut mit Erfahrungsleichtigkeit tiefweg. Ich konnte noch nie so gut verletzen wie John. »Ruhe, Engel. Ich erledige.«
    In meiner bettseitigen Schublade war eine Schere; meine Wahl der Waffen war genauso improvisiert wie die jedes Wächters. Ich schlich leisefüßig hinüber, wo die Maus sich gegen die Wände ihres Gefängnisses warf. Ich ballte eine Faust, hob meine Schere. Dann bemerkte ich, daß ich sie schneidenseitig gepackt hatte, als wollte ich sie jemandem überreichen, der mich daraufhin leichtweise damit erstechen konnte. Ich spürte die Scharfspitzen in meiner Hand, schloß die Augen und mit der Vorstellung, wieder ein Kind zu sein, schlug ich mit den Rundgriffen auf die Maus ein. Ich schlug noch mehrmals zu und erlaubte mir selbst nur soviel Sicht, um meine Schläge zu verifizieren, damit ich ihre Schmerzen nicht überlang verlängerte.
    Endlich fertig: Die Maus lag wie schlafend auf dem dunkelnden Teppich, mit purpurnen Nüstern. Ich schrak vor dem Ergebnis meiner Handarbeit zurück, ohne künstlerische Befriedigung zu verspüren. Ich sah, wie John sich das Gesicht an unserem Laken rieb, und fragte mich, wer mir leid tun sollte, während ich eine gewisse Taubheit spürte.
    »Sie ist fixfertig«, sagte ich. Meine Augen waren so feucht wie die Nase der Maus, unser Laken oder Johns Haar. »Engel?«
    »Tut mir leid«, sagte er. »Vergib.«
    »Nein«, sagte ich. »Vergib mir.« Keine Reaktion. Wenn John weinte, flossen seine Tränen unsichtbar einwärts. Ich stand auf, fühlte meinen Kopf blutleer und riß zwei Kondome auf, die ich aus der Schublade nahm. Ich zog sie über meine Finger, griff damit den Schwanz der Maus und lief ins Badezimmer, um sie die Toilette hinunterzuspülen. Ich sah zu, wie das rosa Wasser tiefgurgelte. Dann wusch wusch wusch ich meine Hände und kam mir wie Lady Macbeth persönlich vor. Als ich in unser Zimmer zurückkehrte, legte ich mich wieder neben meinen Mann.
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