Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambient 05 - Elvissey

Ambient 05 - Elvissey

Titel: Ambient 05 - Elvissey
Autoren: Jack Womack
Vom Netzwerk:
»Sind Sie verrückt? Gehen Sie in Deckung, in die Schutzräume!«
    Der Wind wurde stärker und heißer; Trümmerstücke stiegen auf und wirbelten durch die Luft, als wären es Papierfetzen, die von einer Kerzenflamme in der Schwebe gehalten wurden. Das Feuer brannte lauter, der Rauch verdickte sich, so daß ich erwartete, wir würden demnächst erstickt umfallen. John hatte E wieder zu Boden geworfen und schlug sein Gesicht gegen die Pflastersteine. Ich sah, wie er ein Rasiermesser aus der Tasche zog und E's Kopf an einem Ohr hochzog. Ohne die Konsequenzen zu bedenken, nahm ich eins der Bretter und ließ es mit aller Kraft gegen den Rücken meines Mannes schlagen. Als er von E herunterfiel, hob ich es erneut und zertrümmerte das Knie seines schlechten Beines.
    »Lauf weg, wenn es das ist, was du willst«, sagte ich zu E. »Lauf.«
    Er kämpfte mit dem Gleichgewicht, als er aufzustehen versuchte, und rutschte ein paarmal auf dem Pflaster aus; als er endlich Halt gefunden hatte, starrte er momentlang horizontwärts und sah genauso wie ich nichts als Feuer. Wie er sich das Blut aus dem Gesicht wischte und seine geschwärzten Hände an seinem Kostüm säuberte, lächelte E, als hätte er sein Schicksal angenommen und fühlte sich nun erlöst. »Tschüß, Isabel«, sagte er und verzog seinen Mund zu jenem unbewußten Grinsen; dann stolperte er nordwestwärts davon, wo die Flammen noch nicht jede Straße heimgesucht hatten, und verschwand im Rauch.
    Mein Mann lag auf dem Pflaster und sah zu; rieb sich das Bein mit der Hand. »John …« sagte ich. »Wir müssen verschwinden. John …« Er sagte nichts; warnungslos schwang er mir seine Faust ins Gesicht. Mitten in der Aktion mußte er wieder zu sich gekommen sein, denn er hielt seinen Stoß zurück, so daß er mir weder Knochen brach noch Zähne zersplitterte; dennoch traf er mich. Ich rückte weit von ihm weg, kniete mich auf die Kopfsteine, fand die Luft am Boden atembar genug, um mir ein Schluchzen zu gestatten. In Ludgate stürzten Fassaden straßenwärts, als sie vom Feuer überwältigt wurden; Ziegel prasselten wie Meteore über den Platz. Momentlang erlaubte ich mir unerlaubte Gedanken; wie einfach es wäre, sich auszustrecken und auf die Kremation zu warten. Ich stellte diese Vorstellungen ab und sah nach meinem Mann; er hob die Hand, mit der er mich geschlagen hatte, ballte sie und schlug damit in sein eigenes Gesicht. Bevor ich ihn aufhalten konnte, hatte er sich die rechte Wange eingeschlagen; seine Nase hing, als wäre sie von der zunehmenden Hitze geschmolzen worden. Ich packte seine Hände und hielt ihn zurück; sah sein Gesicht sich röten wie ein Sonnenuntergang über Jersey.
    »Für dich«, sagte er mit ferner Stimme, die im Getöse des Holocaust kaum hörbar war. »Für dich. Es war alles falsch, was ich getan habe, was getan wurde. Was getan werden wird. Es tut mir leid, tut mir leid, tut mir so leid …«
    »Wir müssen gehen, John.« Neue Explosionen dröhnten in meinen Ohren, klangen, wie Knallkörper für eine Ameise klingen mußten. »Zurück zur Kathedrale. Wir müssen dort zurückkehren, wo wir eintrafen.«
    »Laß mich hier. Ich habe hier meinen Tod verdient, Iz. Bitte laß mich hier, bitte …«
    »Ich kann nicht …«
    »Warum?«
    Er hatte mich zum zweiten Mal; ganz gleich, was er getan hatte, ich konnte nicht einfach Lebewohl zu meinem Mann sagen, nachdem ich bereits E hier verloren hatte. »Gehen wir«, sagte ich. Ich half ihm beim Aufstehen, was er wortlos mit einem zustimmenden Nicken ein letztes Mal erlaubte. Er verlagerte das Gewicht auf sein gesundes Bein; der Wind blies so heftig, daß er nicht hilflos stehen konnte. Ich umfaßte seine Taille mit einem Arm und stützte ihn, als wir zu den Stufen gingen; holte die Puderdose mit meiner freien Hand aus der Tasche.
    »Die Kirche steht in Flammen, Iz«, sagte er; durch den Rauch sah ich das Feuer, oben auf dem Dach der Kathedrale. »Es ist unmachbar.«
    »Komm weiter.« Wir nahmen zwei Stufen auf einmal und wichen den Trümmern aus, die vom Giebel herabgefallen waren. Staub sandstrahlte unsere Haut, während der Wind an uns zerrte; öliger Rauch blendete mich, und bald tappten wir nur noch vorwärts und aufwärts, hoben unsere Schuhe schnell von den Stufen, um sie nicht zu verbrennen. Ich fiel, als wir das Ende der Treppe erreichten, und riß meinen Mann mit; fürchtete, daß wir verkohlten, wenn wir zum Portikus weiterstiegen. Wir krochen schneller, als wir hätten gehen können; der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher