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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern
Autoren: Jack Womack
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sagte er; beim Sprechen blickte er hinauf an die Decke, als malte er sich etwas aus, das sich noch nicht in seinem Besitz befand. »Während des Besuchs gehen sie zur Toilette und verstopfen das Abflußrohr, weil sie Gold scheißen. Dann wirst du doch wohl keinen Klempner rufen.«
    Auf diese Standpauke fiel Susie keine Antwort ein. Sie kannte ihn seit seinen Anfängen, als er und sein Bruder nichts anderes als ein Flugzeug und ein Feld im kolumbianischen Hochland gehabt hatten. Einmal hatte er mir gegenüber eingeräumt, daß sie dank Susies Geschäftstüchtigkeit dahin gelangen konnten, wo sie heute standen, allerdings nur, weil er über ein – wie er es bezeichnete – idiotensicheres Gespür fürs Timing verfügte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sich jemals völlig an ihn gewöhnt hat.
    »Falls es etwas gibt, das du mir verschweigst, wär's mir angenehmer, du verrätst es mir«, sagte ich, bezweifelte jedoch, daß er auf mein Anliegen achtete, geschweige denn, mir antwortete. »Hinter was soll ich mich da eigentlich klemmen?«
    Sein Lächeln ähnelte der alten Narbe eines Kaiserschnitts. »Wäre ich sicher, würde ich's dir mitteilen, aber ich bin's nicht. Schau dir ganz einfach mal an, was los ist, und gib mir Bescheid.« Er hob sein Glas. »Prost.«
    »Auf was trinken wir?« fragte Susie, hob das eigene Glas; ein Kellner füllte es nach.
    »Auf alles«, sagte Thatcher gedämpft; das Raunen galt seiner Mutter.
    Als wir zum Gehen aufstanden, half Jake mir in die Jacke; ich lächelte ihm zu, und er grinste zurück, das Gesicht voller Wohlwollen. Gus strebte voraus, Jake folgte als letzter; die Menge der übrigen Gäste teilte sich vor unserer Annäherung wie vor einem Häuflein mit Glöckchen behängter Aussätziger. Jeder im Lokal mußte direkt oder indirekt für die Dryco tätig sein; das bedeutete genug Grund zur Vorsicht. Wir warteten, während die Nacht uns umfing, auf die Ankunft unserer Wagen. Ich sah hinter Thatcher und Gus von Westen her etwas Verschwommenes heransausen; ein Fahrradbote raste mit einer Lieferung zu jemandem, der nicht warten konnte, beide wußten nichts wichtigeres als ein wenig gewonnene Zeit.
    »Achtung!« schnauzte der Bote im Heransausen. Als er an einer unversehrten Straßenlaterne vorbeiflitzte, schoß Jake. Das Fahrrad rollte noch ein Stück weit über den Helligkeitskreis hinaus, ehe es umkippte. Gus legte die Hand auf Jakes Schulter.
    »Sie haben voreilig gehandelt, Jake«, sagte er. »Ich habe nichts unternommen, weil ich gesehen habe, daß er unbewaffnet ist.«
    »Tschuldigung«, stieß Jake hervor, schlug sich, als mutete die Einsicht in seine Überstürztheit ihm zuviel zu, die Hand auf den Mund.
    »Und Sie müssen an Ihre Atmung denken. Beim Feuern müssen Sie einatmen und den Atem anhalten. Dann lassen Sie ihn schubweise entweichen.« Gus machte es ihm vor. »Es muß sich anhören wie eine alte Dampflokomotive. Das klärt den Kopf.«
    »Nächstes Mal verpassen Sie so einem bloß 'n Warnschuß ins Knie, Jake«, sagte Thatcher, als wäre er bar jeglichen Gefühls. Innerlich hatte der Vorfall, wie ich wußte, ihn aufgewühlt wie ein Seebeben. »Verhältnismäßigkeit. Das ist der richtige Weg.«
    Mit einem Dryco-Dienstwagen fuhr ich zu meiner Wohnung in der King Street heim; das Apartment hatte ebenfalls die Dryco gestellt. Thatcher gab mir viele Nägel zum Gebrauch. Ich bewohnte die unteren zwei Etagen eines 1825 erbauten, von den vorherigen Bewohnern auf postmodernen Standard gebrachten Wohnhauses. Nach der Neuordnung hatte man sie im Rahmen der Sanierung auf die Straße gesetzt. Vielleicht hatten sie es, tröstete ich mich, sowieso nie verdient gehabt. Möglicherweise begegnete ich ihnen jeden Morgen, zählten sie zu den Figuren, die meine Kleidung begrapschten, um Pfennige baten, um Kleingeld bettelten. Auf dem Bürgersteig und der Außentreppe lagen Spritzen und Flaschenscherben, hinterlassen von Obdachlosen, als hätten sie uns in der Straße Wohnhaften daran zu erinnern beabsichtigt, wie lange wir selbst auf der Kippe gestanden, in der Hoffnung, nicht auf den Bauch zu fallen, auf Ausgewogenheit vertraut hatten.
    Heute schrie meine Nachbarin in der dritten Etage nicht herum. Indem ich mich, sobald ich im Bett lag, in meine Kuscheldecke wickelte, als ob ich erwartete, erst in tausend Jahren ins Wachsein zurückgerufen zu werden, ließ ich mich von meinen Erinnerungen bis zur Besinnungslosigkeit betäuben. Eine Bekannte, die in der Nachbarschaft wohnte, hatte mir
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