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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern
Autoren: Jack Womack
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entgegnete ich. »Vielleicht solltest du nicht damit rechnen.« Während der Zeit, in der ich Avi kannte, hatte es Momente gegeben, in denen seine transzendente Umhüllung – seine Aura, könnte man es nennen – ohne jedes Vorzeichen sich verflüchtigte, so daß er in einen Zustand der Schutzlosigkeit geriet, als wäre er eine der Schale entnommene Auster. Genau jetzt widerfuhr ihm ein solcher Augenblick, und er schwieg zu meiner Antwort; ich wußte, wie er sich fühlte. »Es ist mein Leben, Avi. Du hast mir empfohlen, es so zu nehmen, wie es ist, und so wie es steht, habe ich hier nichts zu suchen. Nicht mehr.«
    »Menschen passen sich an«, sagte er. »Man braucht Zeit …«
    »Sie versuchen sich anzupassen. Manchen gelingt es besser als anderen. Grüße deinen Vater von mir. Ich bedaure, ihn nie kennengelernt zu haben.«
    »Mir ist es lieber«, räumte Avi ein. »Er hätte dich nicht gemocht.«
    »Etwas muß ich dir noch sagen, und ich bin sicher, daß du das von mir erwartet hast.« Er schaute mir in die Augen, sah möglicherweise diesmal darin kein Spiegelbild seiner selbst. »Wenn der geeignete Zeitpunkt kommt, wird Jake dich töten. Er weiß, was du getan hast.«
    »Darüber bin ich mir im klaren«, sagte Avi. »Ich möchte vorher gar nicht wissen, wann's soweit sein wird …«
    »Ich würde es dir nicht verraten, selbst wenn ich es könnte«, sagte ich. »Eines Tages eben, wenn du nicht einmal ahnst, daß er da ist.«
    »Gibt's eine bessere Weise?« fragte Avi und zuckte die Achseln. Ich küßte ihn und ging auf Thatchers Tür zu. »Geh gut mit dir um«, rief Avi mir nach. »Finde Frieden.«
    »Das habe ich bereits.«
    Als ich Thatchers Büro betrat, sah ich die Drydens, Susie neben ihm, sich hinter seinem Schreibtisch fläzen, ihre auf die Tischplatte gelegten Füße aneinandergelehnt. Nichts erfrischte das Herz so sehr wie der gemeinsame Anblick zweier Menschen, die derartig das platonsche Ideal verkörperten, dem zufolge jene, deren Seelen das Dasein vor der Geburt die Trennung zumutete, dank Vorsehung, Zufall oder einer Begabung, wie Hans im Glück auf etwas zu stoßen, was sie gar nicht suchten, sich in dieser Welt wiederfanden und somit ihren Geist neu vereinen mögen, selbst wenn ihr erneutes Zusammentreffen sie beizeiten zugrunderichtete. Mehrere Sekunden verstrichen, bevor die beiden in ihrer stummen Entrücktheit meine Gegenwart bemerkten; wäre es meine Absicht, wäre ich empfänglicher gewesen für das Lehrreiche meiner Tätigkeit bei der Dryco, ich hätte beide umbringen können, ehe sie bloß ein ›Hallo‹ hervorstießen.
    »Schau mal einer an, wer da ist«, empfing mich Thatcher. »Wie geht's dir, Schatzi? Alles toff?« Ich nickte. »Bestimmt. Bist du wieder reif für die Arbeit, oder glaubst du, du mußt dir noch etwas mehr Zeit zum Abspannen gönnen? Was ist heute? Montag? Willst du nicht lieber morgen wiederkommen, was meinst du?«
    »Morgen bin ich nicht da, Thatcher«, sagte ich.
    »Nun ja«, meinte Thatcher, »natürlich müssen wir den Laden hier wieder richtig in Fahrt bringen, aber wenn du länger brauchst …«
    »Ich steige aus.«
    »Ich habe dich nicht verstanden, Schatzi.«
    »Du hast mich verstanden, Thatcher. Ich kündige meine Stellung. Mit sofortiger Wirkung.«
    »Moment mal. Komm her und setz dich zu mir. Darüber müssen wir ja wohl erst diskutieren.« Er blickte seine Frau an, die allem Anschein nach unter ihrer kürzlichen Gratwanderung am allerwenigsten gelitten hatte; ohne ein Wort erhob sie sich aus dem Sessel, glättete den Rock und griff sich ihre Tageszeitung.
    »Wir werden Sie vermissen«, sagte sie zu mir, den Blick in die Weite gerichtet, ausgeprägter sogar als jemand, der sich in bloße Blindheit geflohen hatte; fast ähnelte sie einer ohne Augen geborenen Schülerin Lesters, die gelernt hatte, nie das Licht zu suchen. Kaum hatte Susie die Tür von außen geschlossen, patschte Thatcher mit dem Handteller auf den noch warmen Sitz an seiner Seite.
    »Verständigung ist der Schlüssel zum Geschäftsleben, Schatzi. Also sprich mit mir.«
    »Ich bleibe lieber stehen …«
    »Dann komm wenigstens näher. Hast du dir deinen Entschluß auch reiflich überlegt? Denkst du nicht, du handelst 'n bißchen voreilig?«
    »Ich habe schon seit längerem darüber nachgedacht, Thatcher, und meine Entscheidung steht jetzt fest. Wir haben nichts mehr zu besprechen. Ich wollte nur Mitteilung machen …«
    »Reichlich kurzfristig, deine Mitteilung«, murrte Thatcher. »Nach allem,
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