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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern
Autoren: Jack Womack
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doch nie schmelzen sie. Ihre Pläne entfalten sich, wie Sie es wünschen, und nicht, wie wir sie sich gerne entwickeln sähen; weder dürfen wir über Ihr Vorgehen so urteilen, wie wir unser Verhalten beurteilen, noch können Sie abwenden, was Sie tun müssen. Sie hatten nicht mehr Anlaß zum Antworten, als wir Grund zum Fragen hatten. Darum tröste man sich, so gut man kann, mit der Erkenntnis, daß jene, die dahingegangen sind, nie erfahren, wie sehr sie vermißt werden. Die schwierigste aller Lektionen besteht darin, daß man nur, indem man für kurze Zeit zusammen mit anderen lebt, am Ende mit sich selbst zu leben lernt. Sie sind eine Zweiheit, die ehedem eins war und irgendwann wieder eine Einheit sein wird. Aber an jenem Tag erkannte ich, es war Zeit zum Gehen; ich hatte Mäuler zu füttern.

Z WÖL F
    Eines Tages erzählte eine Frau ihrer Tochter eine Geschichte. »Einmal bin ich die Hauptstraße entlangspaziert, und da sah ich mich selbst auf mich zukommen.«
    »Wie ist das möglich?« fragte ihre Tochter.
    »Manchmal brechen aus der Welt des Chaos Geister zu uns durch«, antwortete die Mutter. »Bevor die Erscheinung etwas zu mir sagen konnte, trat ich ihr in den Weg und befahl ihr: ›Du gehörst hier nicht her, also scher dich fort!‹ Sie verschwand, wie Nebel mit der Nacht in eins fließt …«
    Die Vorstellung einer solchen Vermischung verstörte die Tochter. »Woher weißt du, daß du sie nicht in Wahrheit dadurch aus der Welt des Chaos fortgeschickt hast?«
    »Mein Engel«, sagte die Mutter, »wenn du erst einmal weißt, daß es eine Welt des Chaos gibt, befindest du dich dort nicht mehr.«
     
    Am nächsten Morgen verließ die ›Leiche‹ unserer totgeglaubten Susie auf eigenen Stelzen das Flugzeug und bummelte seelenruhig zum Auto; die Wissenschaftler trafen am Nachmittag gesondert ein. Susies Maschine hatte in dem Moment zur Landung angesetzt gehabt, als das Erdbeben ausbrach, das Flugfeld umpflügte, den Kontrollturm ins Wanken brachte; der Pilot wendete das Flugzeug, um eine neue Landung auf sichererem Boden zu versuchen, und so landete es in Salt Lake City. Thatcher freute sich.
    Niemand erklärte eine Zuständigkeit für Lesters Leichnam, also entsorgte man ihn am Montagmorgen auf Hart Islands, verscharrte ihn auf dem ehemaligen Trödelmarktgelände. Eine Beisetzungsfeier fand nicht statt – nicht daß er sich lobhudlerische Grabreden gewünscht hätte, und nicht einmal ich mochte dabei sein: Es hätte keinen Sinn gehabt. Während man ihn zur Ruhe bettete, traf ich mich mit Bernard – in sicherer Anonymität, quasi mit ihm allein auf der Welt – in einer Kaffeestube auf der Cedar Street.
    »Sie müssen das so betrachten, meine Liebe«, empfahl er. »Selbst wenn er der Messias gewesen wäre, schließlich wär's genauso gekommen.«
    »Erklären Sie mir doch, was vorgegangen ist, Bernard«, sagte ich. »Lange haben Sie dafür nicht mehr Zeit.«
    »Sie entwickeln erhöhtes Interesse an Ihrer Arbeit?« fragte er, wirkte nicht so recht begeistert. »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie sich überhaupt was aus dem Posten machen.«
    »Inzwischen ist Ihnen das Lügen zur zweiten Natur geworden«, entgegnete ich. »Das könnte ich akzeptieren, wenn ich wüßte, Sie haben genug Achtung vor mir, um mir wenigstens einmal noch die Wahrheit zu sagen. So wie früher.«
    Sein Kaffee schwappte über den Rand der Tasse, während er sie zum Mund führte. »Wir leben doch in einer Welt der List und Tücke, das ist es«, antwortete er. »Vorspiegeleien, Nebelwände, Tarnen und Täuschen … Die Frage lautet nicht so sehr, welche Art von Wirklichkeit man schaffen will, sondern vielmehr, wieviel von jeder Wirklichkeit ein Einzelner verkraften kann. Das ist meine Überzeugung. Vielleicht hätten wir den Burschen fragen sollen, ob man ein Heiliger wird, wenn man so abgebrüht ist, daß einen nichts mehr überrascht.«
    »Sie werden dadurch keiner«, erwiderte ich. »Sind diese Papiere, die Avi entdeckt hat, Fälschungen gewesen?«
    »Er hat zugegeben, daß Kontaktaufnahmen stattgefunden haben …«
    »Lester hatte für alles, was er tat, immer seine Gründe«, sagte ich. »Wann haben Sie sie in Jensens Wohnung verstecken lassen?«
    »Am Erntedankfestmorgen«, gestand Bernard. »Dieser junge Ire, der letzten Sommer für uns tätig gewesen ist … Er hat sie mir angefertigt.«
    »Was ist Wirklichkeit, was nicht, Bernard?« fragte ich. »Sie halten sogar Thatcher im dunkeln, stimmt's?«
    »Würden Sie nicht einräumen,
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