Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
zu verdrängen, während ich meinen Weg auf dem Gehsteig vor dem Haus fortsetzte, doch es hatte keinen Zweck. Gedanken an unsere gemeinsame Zeit überfluteten mich, zusammen mit einem Schwall alter Gefühle. Ich blieb stehen. Es war dumm von mir, hergekommen zu sein. Warum sollte ich mich um etwas scheren, das ich nicht einmal vermißt hatte? Und doch...
    Verdammt! Ich wollte sie noch ein einziges Mal sehen. Ich würde jetzt nicht kneifen. Ich stieg die Eingangsstufen hinauf und trat über die Schwelle. Die Tür stand einen Spalt offen, also ging ich hinein.
    Dieselbe Eingangshalle. Dasselbe müde aussehende Veilchen im Topf, mit eingestaubten Blättern, auf der Truhe vor dem goldgerahmten Spiegel - der Spiegel, der viele Male unsere Umarmung, leicht verzerrt, wiedergegeben hatte. Mein Gesicht erschien geriffelt, als ich daran vorbeiging.
    Ich stieg die mit grünem Teppich belegten Stufen hinauf. Irgendwo draußen begann ein Hund zu jaulen.
    Auf dem ersten Treppenabsatz war alles unverändert. Ich schritt durch den kurzen Flur, vorbei an den langweiligen Stichen und dem alten Tisch am Ende des Gangs, wandte mich um die Biegung und stieg den zweiten Teil der Treppe hinauf. Auf der halben Strecke hörte ich von oben ein Kratzen und ein Geräusch, als ob eine Flasche oder Vase über einen Holzboden rollte. Dann herrschte wieder Stille, abgesehen von einem leichten Windhauch, der die Dachrinne umwehte. Eine undeutliche Ahnung rührte sich in meinem Innern, und ich beschleunigte meine Schritte. Auf der obersten Stufe hielt ich inne, aber anscheinend war alles in Ordnung; doch als ich das nächstemal einatmete, stieg mir ein seltsamer Geruch in die Nase. Ich vermochte ihn nicht zu bestimmen - vielleicht Schweiß, Moder, feuchte Erde, auf jeden Fall etwas Organisches.
    Dann trat ich an Julias Tür und wartete eine Weile. Der Geruch kam mir an dieser Stelle noch stärker vor, doch ich hörte keine weiteren Geräusche.
    Ich klopfte vorsichtig gegen das dunkle Holz. Für einen kurzen Augenblick hatte ich den Eindruck, als ob ich eine Bewegung im Innern vernähme, doch dieser verging sofort. Ich klopfte erneut.
    »Julia?« rief ich. »Ich bin es - Merle.«
    Nichts. Ich klopfte lauter.
    Etwas fiel polternd zu Boden. Ich drehte am Türknopf. Verschlossen.
    Ich drehte und rüttelte und zerrte am Tür knöpf, bis sich die Platte und der gesamte Schließmechanismus lösten. Dann ging ich unverzüglich nach links, an der Tür kante mit den Scharnieren und dem Rahmen vorbei. Ich streckte die linke Hand aus und bearbeitete die obere Holztäfelung sanft mit den Fingerspitzen.
    Ich drückte die Tür einige Zentimeter nach innen und hielt inne. Keine neuen Geräusche traten auf, und nichts außer einem Stück Wand und Boden kam in Sicht, mit schmalen Streifen eines Aquarells, des roten Sofas, des grünen Teppichs. Ich schob die Tür ein Stück weiter auf. Mehr vom selben Anblick. Und der Geruch wurde immer stärker.
    Ich machte einen kleinen Schritt nach rechts und drückte mit gleichmäßiger Kraft.
    Nichtsnichtsnichtsnichts...
    Meine Hand zuckte zurück, als sie ins Blickfeld kam. Am Boden liegend. Quer im Zimmer. Blutig...
    Blut war am Boden, auf dem Teppich, ein blutiges Durcheinander nahe der Ecke zu meiner Linken. Umgeworfene Möbel, aufgerissene Polster...
    Ich unterdrückte den Drang, vorzustürmen.
    Ich unternahm einen langsamen Schritt, und dann noch einen, wobei alle meine Sinne angespannt waren. Ich trat über die Schwelle. Es war nichts anderes/niemand anderes in dem Zimmer. Frakir spannte sich um mein Handgelenk. Ich hätte in diesem Augenblick etwas sagen sollen, doch meine Gedanken waren anderswo.
    Ich näherte mich der Stelle, wo sie lag, und kniete neben ihr nieder. Mir wurde übel. Von der Tür aus hatte ich nicht gesehen, daß die Hälfte ihres Gesichts und der rechte Arm fehlten. Sie atmete nicht, und ihre Halsschlagader war ruhig. Sie war mit einem zerrissenen und blutigen pfirsichfarbenen Morgenmantel bekleidet; am Hals trug sie einen blauen Anhänger.
    Das Blut, das über den Teppich hinaus auf den Holzboden gespritzt war, war verschmiert und herumgetreten. Es waren jedoch keine menschlichen Fußspuren, sondern die von großen, langen, dreizehigen Gliedmaßen, gut gepolstert, mit Klauen versehen.
    Ein Luftzug, den ich nur halb im Unterbewußtsein wahrgenommen hatte - und der durch die geöffnete Schlafzimmertür hinter mir kam - wurde plötzlich unterbunden, während der Geruch intensiver wurde. Ich spürte ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher