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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer
Autoren: Paulo
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Saragossa zurück, könnte ich dies alles verrückt finden, wieder an meine Prüfungen denken, die bald stattfinden, und es hinnehmen, zwei Monate lang von dir getrennt zu sein, bis das Examen vorbei ist. Und wenn ich es bestehe, will ich vielleicht nicht mehr aus Saragossa weg. Nein, ich kann nicht zurückkehren. Ich muß die Brücken zu der Frau abbrechen, die ich einmal war.«
    »Barcelona«, sagte er leise, wie zu sich selbst.
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts. Wir fahren weiter.«
    »Aber du mußt noch einen Vortrag halten.«
    »Erst in zwei Tagen«, antwortete er. Seine Stimme klang eigenartig. »Wir fahren woandershin. Ich will nicht direkt nach Barcelona.«
    Ich stand auf. Ich wollte nicht an Probleme denken. Vielleicht hatte er sich beim Aufwachen einfach nur gefühlt, wie man sich oft nach einer ersten Liebesnacht mit jemandem fühlt: etwas gehemmt und verlegen.
    Ich ging zum Fenster, zog den Vorhang ein wenig zur Seite und sah auf die kleine Straße hinaus. Auf den Balkons hing Wäsche. Die Glocken läuteten noch immer.
    »Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Laß uns an einen Ort fahren, an dem wir als Kinder waren. Ich bin niemals dahin zurückgekehrt.«
    »Wohin?«
    »Laß uns zum Kloster von Piedra fahren.«
    Als wir aus dem Hotel kamen, läuteten die Glocken immer noch, und er schlug vor, wir könnten kurz in die Kirche hineingehen.
    »Wir haben bislang nichts anderes gemacht«, antwortete ich. »Kirchen, Gebete, Rituale.«
    »Wir haben uns geliebt«, sagte er. »Wir haben uns dreimal betrunken. Wir sind in den Bergen gewandert. Wir haben Strenge und Barmherzigkeit im Gleichgewicht gehalten.«
    Ich hatte etwas Dummes gesagt. Ich mußte mich an das neue Leben gewöhnen.
    »Entschuldige«, sagte ich.
    »Laß uns kurz hineingehen. Diese Glocken sind ein Zeichen.«
    Er hatte recht, doch das würde ich erst am nächsten Tag begreifen. Ohne auf das geheime Zeichen zu achten, nahmen wir den Wagen und fuhren in vier Stunden zum Kloster von Piedra.
    Die Decke war eingestürzt, und die wenigen Standbilder hatten keine Köpfe mehr – mit Ausnahme einer Statue.
    Ich blickte um mich. Dieser Ort hatte gewiß einst sehr willensstarke Menschen beherbergt, die darauf achteten, daß ein jeder Stein sauber und jede Bank von einem der Mächtigen jener Zeit besetzt war.
    Doch jetzt lagen vor mir nichts als Ruinen. Die Ruinen, die sich in unserer Kindheit in Burgen verwandelt hatten, in denen wir zusammen spielten und in denen ich meinen verzauberten Prinzen suchte.
    Jahrhundertelang hatten die Mönche des Klosters von Piedra dieses kleine Stück Paradies für sich behalten. Da es am Grunde einer Senke lag, besaß es das, worum die benachbarten Ortschaften betteln mußten: Wasser. Hier hatte der Rio Piedra Dutzende von Wasserfällen und Seen gebildet und so dazu beigetragen, daß ringsumher eine überbordende Vegetation entstanden war.
    Doch nur wenige hundert Meter weiter, am Ausgang der Schlucht, herrschten Dürre und Trostlosigkeit. Der Fluß wurde, kaum hatte er die Senke verlassen, wieder zu einem kleinen Rinnsal, als wäre dort schon seine ganze Jugend und Kraft aufgebraucht.
    Die Mönche wußten das und ließen sich das Wasser, das sie ihren Nachbarn verkauften, teuer bezahlen. Unzählige Kämpfe zwischen den Priestern und den umliegenden Dörfern prägten die Geschichte des Klosters.
    Schließlich diente das Kloster von Piedra während eines der vielen Kriege, die Spanien erschütterten, als Kaserne. Pferde liefen durch das Hauptschiff, Soldaten kampierten zwischen den Bänken, erzählten sich dort schlüpfrige Witze und schliefen mit den Frauen aus den Nachbardörfern. Die wenn auch späte Rache war gekommen. Das Kloster wurde geplündert und zerstört.
    Niemals erhielten die Mönche dieses Paradies zurück. Während eines der vielen vor Gericht ausgefochtenen Kämpfe sagte jemand, daß die Bewohner der benachbarten Ortschaften darin ein Gottesurteil sahen. Christus hatte gesagt: »Gebt dem zu trinken, den es dürstet«, und die Pater hatten sich diesen Worten gegenüber taub gestellt. Dafür hatte Gott die vertrieben, die sich für die Herren der Natur gehalten hatten.
    Und vielleicht war deshalb die Kirche eine Ruine geblieben, obwohl der größte Teil des Klosters wiederaufgebaut und zu einem Hotel umgewandelt worden war. Die Nachkommen der Bevölkerung der umliegenden Dörfer hatten nie vergessen, welch hohen Preis ihre Vorfahren für etwas hatten zahlen müssen, das die Natur umsonst schenkt.
    »Wen stellt das
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